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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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hoch. »Hinten steht kein Name drauf.«
    »Ach, das ist ja unser Fanny. ›Muddy Fan‹ hieß er bei uns, seit er mal abgeworfen wurde und in einer Pfütze landete und von Kopf bis Fuß mit Schlamm beschmiert war, als er aufstand. Er war so beliebt wie sonst keiner. Fünf ausgewachsene Männer, hartgesottene Burschen, und jeder hat bei der Beerdigung von diesem Jungen geweint. Einen wie ihn werden wir nie wieder zu sehen kriegen, und das gilt auch für die anderen. Es war eine traurige Sache.«
    »War es das hier?« sagte LaVon und holte das Foto von der Cowboy-Beerdigung hervor.
    »Ja, das war es. Ach, wie schwer ist es uns gefallen, diesenJungen zu begraben. Der da drüben links, das bin ich. Ich hatte den Kopf gesenkt, damit ich nicht geknipst werden kann, wenn ich wie ein Kalb blöke. Ich war kaum älter als Fanny. Der Tote hätte genausogut ich sein können.« Sein Lachen klang wie das Rascheln eines vertrockneten Buschs mit splitternden Zweigen. »Cowboy war damals ein harter Job. Die jungen Burschen heute haben ja keine Ahnung. Allein die Brandzeichen – zwanzig, fünfundzwanzig Männer wurden da gebraucht, Vorarbeiter, Koch, zwei Leute für die Brandeisen, einer für die Messer, einer zum Impfen, einer zum Hörnerkappen, einer, der die Hornstümpfe und Wunden versorgte, und die Burschen, die die Herde zusammenhielten. Von vor Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und dann schlief man auf dem Boden, bis es weiterging. Wir standen im Dunkeln auf; da mußte man sich auf den Boden legen und die Pferde in dem bißchen Licht behandeln, das es gab. Brandzeichen machten wir immer nach dem Vierten Juli. Dafür gab es fünfundvierzig Dollar monatlich.«
    »Und wer war dieser Fanny, der so beliebt war?«
    »Ein Junge, von irgendwo hergestreunt, von wo, weiß ich nicht mehr, aber mit Pferden war er allen anderen haushoch überlegen, der beste Reiter, den man sich denken kann. Cowboy Fanny. Keiner war besser. Geschmeidig wie ein Stück roher Speck. Gut genug für jeden Wettbewerb. Fröhlich, gutherzig, hätte einem sein letztes Hemd geschenkt. Und klug. Schwierigkeiten hat er durch Denken gelöst, nicht mit Kraft. Hat zwei Jahre lang für meinen Deddy gearbeitet, bis der Schnitter ihn geholt hat. «
    »Verwandte hatte er hier keine?«
    »Nee. Kam aus Missouri oder Montana oder irgendwoher, was mit M anfängt, kann auch Maine oder Minnesota gewesen sein. Ich glaube, es war Minnesota, wenn man bedenkt, daß er so helle Haare und so weiße Haut hatte. Wenn er noch leben würde, wäre er jetzt ein alter Mann wie ich, aber ich seheihn jetzt noch vor mir wie damals. Ich kann sehen, wie er den Kopf zur Seite legt und sich mit der Zunge um die Zähne fährt, wie es seine Art war. Er hatte schlechte Zähne, wir mußten ihm welche ziehen.«
    »Hat ihn das umgebracht, die schlechten Zähne? Ich weiß, daß manche an schlechten Zähnen gestorben sind.«
    »Ja, das stimmt, aber er nicht. Er ist an der Liebe zu einem kleinen Mädchen mit Zöpfen gestorben, einer Siebenjährigen. Red Poarch ist an schlechten Zähnen gestorben, mit einem Kopf wie eine Wassermelone. Das ist ein Tod, den ich noch nicht mal dem übelsten Schweinefarmbetreiber wünschen würde.«
    Der alte Mann kramte in den Fotos, hielt eines von einer streng dreinblickenden Frau einen Augenblick in der Hand, ließ es verächtlich fallen und nahm wieder Fannys Porträt auf.
    »Es gab einen Tanzabend. Damals wurde richtig getanzt, vom Abendessen bis zum Frühstück. Dieser Tanzabend war im Schulhaus von Cowboy Rose, als es noch eine Schule war, nicht wie heute, wo alles umgebaut ist zu einem Haus für zwei vom anderen Ufer, und die Kinder werden mit dem Bus in die Schule weiß Gott wohin gebracht, und es gab ein Überraschungspicknick. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es keine Überraschungspicknicks mehr. Da kamen das Kino und der Diner nach Woolybucket, und das war es, was die Leute wollten, aus dem Haus gehen und sich unterhalten lassen. Die Frauen vor allem. Aber zurück zu dem Tanzabend. Aus keinem von uns war an so einem Tag viel Arbeit rauszuholen, weil alle damit beschäftigt waren, sich abzuschrubben und zu putzen und die Hüte abzubürsten und die Stiefel einzufetten. Bis Cowboy Rose war es ein ganz schönes Stück Weg, und nach dem Mittagessen gab jeder seinem Pferd die Sporen, um rechtzeitig für die Versteigerung des Überraschungspicknicks dort zu sein. Es gab welche, die im Automobil fuhren, aber das waren die wenigsten, die meisten hielten sich an das Pferd. Ein

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