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Mitten in Amerika

Mitten in Amerika

Titel: Mitten in Amerika Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Proulx
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verdunkeln, damit andere Passagiere amerikanische Filme der untersten Kategorie anschauen konnten. Er weigerte sich, sein Fenster zu verdunkeln, und sagte, das einzige Vergnügen am Fliegen sei die Möglichkeit, die Landschaft aus 35000 Fuß Höhe zu betrachten. Einmal war er in Kansas City aus demFlugzeug gewiesen worden, weil er es auf einen Streit hatte ankommen lassen. Tam war Hunderte von Meilen gefahren, um ihn abzuholen, und hatte sich den ganzen Rückweg über Bromos Gemecker über die gräßlichen Straßen angehört, durch die er gegangen war, während er wartete. Phrasen an die Adresse Trauernder wie »Die Zeit heilt alle Wunden« oder »Der Tag kommt, wenn Sie abschließen können« ärgerten ihn, und manchmal saß er stumm da, wie in einen Bodensatz des Kummers vergraben.
    »Abschluß? Wenn ein geliebter Mensch stirbt, gibt es keinen ›Abschluß‹. «
    Er verabscheute Fernsehsendungen, in denen Tornadojäger quiekten: »Ein Vierer! Ein Vierer!«, und verachtete die rattenverseuchten Labyrinthe des Internets, in denen es von Fehlinformationen und Spitzfindigkeiten wimmelte. Er mochte keine europäischen alten Filme, in denen Leute beim Abschied mitten auf der Straße standen und winkten. Er fand, Besitzer von Handys gehörten ebenso dem Feuertod überantwortet wie Leute, die Nudeln zu weich kochten. Kalender, vor allem in der idyllischen Ausprägung mit ihren leuchtenden Ansichten einer Welt ohne Telefonleitungen, rostige Autos oder Hamburgerbuden, empörten ihn, doch die Kätzchen, Motorräder, berühmten Frauen und Jazzmusiker der Themenkalender verachtete er nicht minder.
    »Wie wäre es mit Fotos von streunenden Katzen? Oder mit Krankheiten?« sagte er wütend. Wal-Mart-Laster auf der Autobahn bedachte er mit Verwünschungen, und parfümierte Frauen im Lift provozierten die giftige Bemerkung, daß sie nach tierischen Drüsensekreten rochen. Seit Jahren schrieb er an einem Essay mit dem Titel »Dieses Land ist NICHT dein Land«.
    Obwohl sie nicht miteinander auskamen, hatte Bromo für Bob in der örtlichen Buchhandlung ein Konto eröffnet, das Bob erlaubte, alle zwei Wochen ein Buch zu kaufen. BobsSehnsucht nach Büchern war stärker gewesen als sein Widerwille gegen die Vorstellung, Bromo verpflichtet zu sein.
    Wenn Kartons mit Spenden vor dem Laden abgesetzt wurden, kommentierte Bromo den Inhalt mit beißendem Sarkasmus. Eines Tages fand sich ein sonderbares Kleidungsstück in einem Karton mit dem Aufdruck O UTDOOR G RILL DELUXE . Es war eine riesige Weste aus einem unidentifizierbaren Fell mit langen graubraunen Zotteln. Sie roch nach altem Rauch und Mottenkugeln.
    »Ein Untier!« rief Bromo in gespieltem Entsetzen und wich theatralisch zurück. »Du lieber Himmel, das stammt aus den Sechzigern, von irgendeiner Bergkommune. Schau in den Taschen nach, Tam, ob sie irgendwelche Drogen vergessen haben.«
    Die Taschen waren leer. Bromo verabscheute die Weste, die ihn an Röcke mit Paisleymuster und Friedensabzeichen erinnerte, an Mädchen, die ihre Kinder mit Huflattich und Schafgarbe kurierten; besonders verdroß ihn, daß er das Fell nicht identifizieren konnte. Zuletzt hielt er es nicht länger aus, packte die Weste ein und brachte sie zum Denver Natural History Museum.
    »Reich mir die Makkaroni, Bob«, sagte Onkel Tam abends. Und zu Bromo: »Willst du uns nicht erzählen, was sie im Museum gesagt haben?«
    »Willst du es wirklich wissen?«
    »Natürlich will ich es wissen. Es ist ein sehr ungewöhnliches Fell.«
    Bromo schnaubte. »Das kannst du laut sagen. Außerdem ist es durch und durch illegal. Es ist Grizzlybärenfell. «
    »O nein«, sagte Onkel Tam, der ein inbrünstiger Naturschützer war und bis ans Ende seiner Tage Abonnent von Audubon , High Country News , Mother Nature , Wildlife of the Rockies und Colorado Wildlife.
    Es folgte eine lange Diskussion – um nicht zu sagen Streit –darüber, was mit dem »Untier«, wie Bromo es hartnäckig nannte, zu tun sei. Schließlich erhielt es auf einem Tisch einen Einzelplatz mit Extrabeleuchtung samt Schild, das besagte E INZIGARTIGE B ÄRENFELLWESTE , und einem Preisaufkleber, der die Summe von $ 200 nannte.
    Die beiden Männer waren Hausgefährten und Geschäftspartner und, so überlegte Bob ein paar Jahre später, vielleicht noch ein wenig mehr, denn ihre Beziehung zeichnete sich durch eine merkwürdige Vertrautheit aus, die über Haushalt und Geschäft hinausging. Doch nie hatte er zärtliche Blicke oder Berührungen zwischen ihnen erlebt.

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