Mitten in der Nacht
denke aber nicht, dass sie mit meiner Antwort zufrieden war. Ich hab sie rausgeschmissen. So weit, so gut, wenn du möchtest, kannst du jetzt deine Entrüstung zeigen. Aber wein nicht.« Als ihre Augen sich mit Tränen füllten, wurde seine Stimme grob. »Sie ist es nicht wert, dass du ihretwegen auch nur eine Träne vergießt.«
»Ich schäme mich so. Kannst du das nicht verstehen?«
»Doch. Obwohl wir beide klug genug sind zu wissen, dass das nichts mit dir zu tun hat, verstehe ich es. Und es tut mir Leid, unendlich Leid, dass ich dazu beitrage.«
»Es geht nicht um dich. Es ging nie um dich.« Sie tupfte sich eine Träne von den Wimpern, ehe sie herausquellen konnte. »Das habe ich von Anfang an versucht, dir klarzumachen.«
»Aber um dich geht es ebenfalls nicht, Lena. Es ging nie um dich. Ich habe sie mir angesehen. Ich habe sie mir aus der Nähe sehr genau angesehen und nichts entdeckt, was du mit ihr gemeinsam hättest. Die Familie muss man nehmen, wie sie kommt, Lena. Aber ob man ein Rückgrat oder ein Herz hat, hängt von einem selbst ab, ob man sich nun wegen oder trotz der Familie darum kümmert.«
»Ich werde sie nie loswerden, niemals. Egal, was ich auch mache.«
»Nein, das wirst du nicht.«
»Es tut mir so Leid. Nein, verdammt noch mal, ich will es sagen«, herrschte sie ihn an, als sie sah, wie sein Gesicht sich verschloss. »Es tut mir Leid, dass sie in dein Haus gekommen ist. Es tut mir Leid, dass sie an deine Familie gerührt hat. Aber ich muss dich bitten, nichts davon meiner Großmama zu sagen.«
»Warum sollte ich?«
Sie nickte und stand dann auf, um im Zimmer auf und ab zu laufen. Sie liebte ihre Wohnung, weil sie sich diese selbst geschaffen hatte. Und aus denselben Gründen respektierte sie auch ihr Leben. Und das würde sie jetzt dem Mann, der so entschlossen war, Teil ihres Lebens zu werden, auch erklären, weil er ihr wichtig war und sie ihn respektierte.
»Sie hat mich verlassen, als ich noch keine zwei Wochen alt war«, fing sie an. »Ging eines Morgens einfach aus der Tür, stieg in das Auto ihrer Mama und fuhr davon. Ließ den Wagen dann in Baton Rouge stehen. Als sie sich wieder blicken ließ, war ich drei.«
»Und dein Vater?«
Sie zuckte die Achseln. »Hängt von ihrer Stimmung ab. Einmal erzählte sie mir, es sei der Junge gewesen, den sie geliebt habe und er sie auch, den aber seine Eltern von ihr weggerissen und weit weg geschickt hätten. Ein andermal erzählte sie mir, sie sei auf dem Heimweg von der Schule vergewaltigt worden. Eine noch andere Variante lautete, es sei ein reicher, älterer Mann gewesen, der eines Tages zurückkommen werde, um uns beide in sein schönes Haus zu holen.«
Sie drehte sich um, damit sie Declan ins Gesicht sehen konnte. »Ich war so um die achtzehn, als sie mir, glaube ich, die Wahrheit sagte. Sie war zugedröhnt, leichtsinnig und gemein genug, also musste es die Wahrheit sein. Wie zum Teufel solle sie das wissen, sagte sie. Es seien so viele gewesen. Und außerdem sei es scheißegal, wer mich in sie gepflanzt habe. Einer wäre genauso gut wie der andere.
Als sie mit mir schwanger wurde, hurte sie herum. Ich hörte Gerüchte, als ich alt genug war zu verstehen, was das Gerede bedeutete. Als sie in Schwierigkeiten steckte, rannte sie wieder zu meinen Großeltern. Sie hatte Angst vor einer Abtreibung – Angst dabei zu sterben und dann in die Hölle zu kommen und so. Also bekam sie mich und verließ mich. Das sind die einzigen zwei Dinge auf dieser Welt, die ich ihr verdanke.«
Sie holte tief Luft und setzte sich wieder. »Na ja, jedenfalls kam sie zurück, als ich drei war, und machte ihre üblichen Versprechungen, von wegen sie habe ihre Lektion gelernt und es täte ihr Leid, sie habe sich geändert. Sie blieb ein paar Tage, dann war sie wieder weg. Dieses Muster hat sich seitdem viele Male wiederholt. Manchmal kam sie, weil der Kerl, den sie zuletzt aufgegabelt hatte, sie verprügelt hatte. Manchmal kam sie krank zurück oder auch nur abhängig von irgendwelchen Drogen. Aber Lilibeth gleicht einem Bumerang.«
Sie schwieg und hing dieser einen, unverbrüchlichen Tatsache nach.
»Und es verletzt dich jedes Mal«, sagte Declan sanft. »Verletzt dich, verletzt Miss Odette.«
»Sie verletzt jeden. Das ist ihre einzige Gabe. Als sie an meinem dreizehnten Geburtstag aufkreuzte, war sie high. Wir hielten zu Hause ein fais do-do ab, mit allen Freunden und der Familie, und sie war zugedröhnt und hatte irgendeinen Penner dabei. Es wurde
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