Mitten in der Nacht
den zweiten Stock.
Er rechnete damit, in Panik zu verfallen – wartete auf den eisernen Griff in der Magengrube, die Atemnot, das Herzklopfen.
Aber dieses Mal geschah nichts dergleichen. Die Stufen waren jetzt nur Stufen, die Tür nur eine Tür mit einem Messingknauf, der poliert werden musste.
Und auch das Baby schrie nicht mehr.
»Na so was«, brummelte er.
Seine Handflächen waren schweißnass, aber vor Aufregung und vor Angst. Er streckte die Hand aus und drehte den Knauf. Die Tür ging mit quietschenden Angeln auf.
Im Kamin glühte schwach ein Feuer. Sein Lichtschein und der Kerzenschein tanzten über das hübsche Muster der in blassestem Pfirsichton gehaltenen Wände. An den Fenstern hingen dunkelblaue Vorhänge über Spitzengardinen. Der Fußboden war spiegelglatt poliert, darauf lagen zwei Teppiche mit einem Muster aus Pfirsichen und Blaubeeren.
Es gab ein Kinderbett mit geschwungener Umrandung aus Schmiedeeisen, bezogen mit weißem Leinen.
Sie saß in einem Schaukelstuhl, ein Baby an ihrer Brust. Er konnte die Hand des Babys darauf sehen, Weiß auf Goldbraun. Das Haar hing lose herab, ergoss sich über die Schultern, über die Schaukelstuhllehnen.
Ihre Lippen bewegten sich zu einer Geschichte oder einem Lied, das er nicht kannte. Er konnte nichts hören. Aber ihr Blick war auf das Kind gerichtet, das sie stillte, und ihr Gesicht strahlte vor Liebe.
»Niemals hast du sie verlassen«, sagte Declan leise. »Das hättest du nie über dich gebracht.«
Sie blickte hoch und sah zur Tür hin, wo er stand, so dass er einen erschrockenen Moment lang dachte, sie habe ihn gehört. Redete mit ihm. Als sie lächelte und ihre Hand ausstreckte, trat er einen Schritt auf sie zu.
Aber als er dann den Mann quer durchs Zimmer – und wie Luft durch ihn hindurch – auf sie zugehen sah, bekam er weiche Knie.
Seine Haare waren goldblond. Er war groß und schlank. Sein Morgenmantel war von einem satten Burgunderrot. Als er sich neben dem Schaukelstuhl hinkniete, strich er mit der Fingerspitze über die Wange des Babys und danach über die winzigen Finger, die die Brust der Frau kneteten.
Die Frau, Abigail, hob ihre Hand und drückte sie auf seine. Und von dem weichen Lichtschein umstrahlt, wurden die drei eins, während der milchige Mund des Babys nuckelte und die Frau es sanft hin und her schaukelte.
»Nein. Niemals hast du sie verlassen. Ich werde herausfinden, was sie dir angetan haben. Euch allen.«
Während er das sagte, fiel hinter ihm die Tür ins Schloss. Er machte einen Satz, drehte sich und stand plötzlich im Dunkeln, erhellt einzig und allein durch die grellen Blitze und den Strahl seiner Taschenlampe. Wie ein Fels drückte ihn ein Gewicht nieder und raubte ihm den Atem. Der Raum war leer, eiskalt, und das Entsetzen machte sich erneut in seiner Kehle breit.
Er zog am Türknauf, doch seine schweißnassen Hände glitten von dem eisigen Messing ab. Er spürte, wie er sein ersticktes Keuchen zu Rufen und Schreien, Bitten und Gebeten erheben wollte. Er konnte sich vor Benommenheit nicht auf den Füßen halten, sackte auf die Knie und hantierte von dort aus wie verrückt am Türknauf, ruckte und zerrte an der Tür.
Als es ihm schließlich gelang, sie aufzuziehen, kroch er auf allen vieren hinaus und legte sich mit dem Gesicht nach unten auf den Boden. Dort blieb er liegen, das Dröhnen in seinem Herzen ein Widerhall des über das Haus donnernden Gewittersturms.
»Okay, ich bin okay. Mir geht es gut, verdammt, und ich stehe jetzt auf und gehe zurück ins Bett.«
Mochte er auch Schlaf verloren haben, so hatte er doch eine Menge gelernt, sagte sich Declan, als er zitternd wieder auf die Beine kam.
Sollte das, was er im Kinderzimmer gesehen hatte, die Wahrheit sein und nicht irgendeine Fantasie, die von ihm erzeugt worden war, dann hatte Abigail Rouse Manet Hall niemals aus freien Stücken verlassen.
Und er hatte es mit mehr als einem Geist zu tun.
Wahrscheinlich war sie gerade dabei, einen Fehler zu machen, überlegte Lena, als sie ihr kleines Schwarzes an ihrem Körper glatt strich. Was Declan Fitzgerald betraf, hatte sie bereits mehrere kleine Fehler gemacht. Das irritierte sie, denn wenn es um Männer ging, machte sie eigentlich selten Fehler.
Wenn sie eins von ihrer Mutter gelernt hatte, dann den Umgang mit Männern. Sie hatte einfach alles von ihr Gelernte ins Gegenteil verkehrt. Dies war ihr in allen Dingen zur Gewohnheit geworden, so auch in Beziehungen.
Und dieser Prozess hatte Lena nun seit
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