Mitten in der Nacht
fast dreißig Jahren vor einem gebrochenem Herzen bewahrt. Sie hatte weder den Wunsch noch die Absicht, sich in die Hände eines Mannes zu begeben. Aber nur im übertragenen Sinne, dachte sie mit einem Grinsen, als sie sich die Lippen anmalte.
Wenn es die richtigen Hände waren und sie in der Stimmung dazu war, fühlte sie sich darin nämlich recht wohl.
Ihrer Meinung nach war eine Frau, die an Sex keinen Spaß hatte, einfach nicht schlau genug bei der Wahl ihrer Partner. Eine kluge Frau wählte sich Männer, die willens und bereit waren, sich zeigen zu lassen, wie diese Frau zufrieden gestellt werden wollte. Und eine zufriedene Frau würde einen Mann auch gut und kräftig vögeln.
Am Ende hätten also beide gewonnen.
Das Problem war nur, dass Declan die Gabe besaß, sie zu jeder Zeit in die entsprechende Stimmung zu versetzen. Und das obwohl sie sich für gewöhnlich nicht von ihren Hormonen leiten ließ.
Im Umgang mit Sex war es für eine Frau das Klügste und Sicherste, die Kontrolle darüber zu behalten. Die Entscheidung für das Wann und Wo, das Wer und Wie zu treffen. Die Männer, na ja, die waren eben von Natur aus geil. Das konnte man ihnen nicht zum Vorwurf machen.
Und Frauen, die behaupteten, Männer nicht reizen zu wollen, waren entweder kaltblütig oder Lügnerinnen.
Hätte sie davon ausgehen können, dass sie und Declan auf eine einfache Affäre zusteuerten, die für beide mit einem Rausch begann und mit benommenem Kopf endete, hätte sie sich keinerlei Gedanken gemacht. Aber er stand für mehr als das. Zu vielschichtig, fand sie, und es schien ihr nicht möglich zu sein, alle Schichten zu durchdringen und aus ihm schlau zu werden.
Darüber hinaus und umso Besorgnis erregender hatte ihre Reaktion auf ihn außerdem noch eine andere Ebene als die schlichten Lustempfindens. Auch das war kompliziert und rätselhaft.
Er gefiel ihr, und sie mochte den kernigen Yankee-Klang seiner Stimme. Und dann hatte er mit seiner ganz offensichtlichen Zuneigung für ihre Großmama ihren wunden Punkt getroffen.
Außerdem gestand sie sich ein, dass er ihr Blut in Wallung zu bringen verstand. Dieser Mann hatte sehr geschickte Lippen.
Und wenn er nicht Acht gab, einen verwundeten Blick in seinen Augen. Auf wunde Herzen fiel sie immer herein.
Das Beste wäre, es behutsam anzugehen. Sie legte ihren Hals schief und strich sich mit dem Kristallstab ihrer Parfümflasche über die Haut. Bedächtig und locker. Schließlich hatte man nichts davon, wenn man das Ziel erreichte, ohne den Weg dorthin genossen zu haben.
Sie ließ den Stab um ihre Brüste kreisen und stellte sich seine Finger dort vor. Seinen Mund.
Es war schon lang nicht mehr passiert, dass sie einen Mann so... eindeutig haben wollte. Und da es längst zu spät war für ein schnelles, anonymes Wälzen in den Laken, wäre es klug, ihn besser kennen zu lernen, ehe sie ihm das Gefühl gab, sie ins Bett geredet zu haben.
»Pünktlich auf die Minute«, bemerkte sie laut, als es an ihrer Tür klopfte. Noch einen prüfenden Blick auf ihr Spiegelbild, dann warf sie sich einen Kuss zu und ging zur Eingangstür.
Er sah gut aus im Anzug. Sehr nobel und adrett, befand sie. Sie streckte die Hand aus, nahm das steingraue Revers zwischen Daumen und Zeigefinger und strich daran entlang. »Hm. Hast wohl nicht richtig abgebürstet, cher.«
»Tut mir Leid, aber ich hatte absolute Blutleere im Kopf und habe es nicht besser hingekriegt.«
Sie bedachte ihn mit diesem frechen Unter-den-Wimpern-Blick und drehte sich im Zeitlupentempo auf ihren Bleistiftabsätzen. »Und wie gefällt dir das?«
Das Kleid saß wie angegossen. Seine Hände vollführten einen Freudentanz. »O ja. Ganz wunderbar.«
Sie krümmte lockend ihren Finger. »Komm kurz mal rein.«
Sie trat zurück, steckte eine Hand durch seine Armbeuge und drehte sich einem alten Spiegel im Silberrahmen zu. »Sehen wir nicht toll aus?«, sagte sie, und ihr Spiegelbild lachte seinem zu. »Wohin entführst du mich, cher?«
»Das werden wir noch sehen.« Er nahm einen breiten roten Seidenschal und drapierte ihn über ihre Schultern. »Wird das auch warm genug sein?«
»Wenn nicht, dann taugt das Kleid nichts.« Sie trat auf ihre kleine Galerie hinaus. Sie wollte schon die Hand nach ihm ausstrecken, starrte dann aber wie gebannt auf die weiße überlange Limousine am Straßenrand.
Sie war selten sprachlos, aber sie brauchte gute zehn Sekunden, um ihre Stimme und ihren Verstand wiederzuerlangen. »Du hast dir ein neues Auto
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