Mitten in der Nacht
traumverlorenes Lippenspiel. Es war ein Brandzeichen und beide wussten es.
Rufus grummelte warnend, als sie sich wehrte. Doch selbst als aus dem Grummeln ein Knurren wurde, ließ Declan nicht locker. Er ballte seine Hand in ihren Haaren zur Faust und zog ihren Kopf nach hinten, drang tiefer in ihren Mund ein. Wut, Schmerz und Hunger stürmten auf ihn ein und würzten den Kuss.
Sie konnte ihm nicht widerstehen. Nicht als der Gefühlscocktail durch ihren Körper schoss und Bedürfnisse freisetzte, die sie gehofft hatte, hinter Schloss und Riegel zu halten. Mit einem unterdrückten Fluch umarmte sie seinen Hals und erwiderte ungestüm den Kuss.
Winselnd ließ Rufus sich nieder und kaute am Ball.
»Wir sind noch nicht miteinander fertig.« Besitz ergreifend strich Declan ihr über die Arme.
»Offenbar nicht.«
»Ich komme heute Abend zu dir und bringe dich nach Hause, wenn du Schluss machst. Wenn sich am Mittwoch wieder alles beruhigt hat, hätte ich gern, dass du zu mir herauskommst. Wir werden zu Abend essen.«
Es gelang ihr zu lächeln. »Und du kochst?«
Grinsend streifte er mit seinen Lippen ihre Braue. »Ich werde dich überraschen.«
»Das tust du eigentlich ständig«, erwiderte sie, als sie sich zum Gehen wandte.
Sie verstand sich selbst nicht mehr. Und das nicht, weil sie eine Schlacht verloren hatte, sondern weil sie so feige gewesen war. Feigheit hatte sie anfangs den Streit vom Zaun brechen lassen.
Sie stapfte durch das Marschland, während Rufus zwischen den Bäumen dahinjagte und in der Hoffnung auf ein Kaninchen oder Eichhörnchen in das dichte grüne Unterholz einbrach.
Sie blieb an einer Flussbiegung stehen, die, soweit die Erinnerung zurückreichte, als Bayou Rouse bekannt war. Dieser geheimnisvolle Ort mit seinem träge dahinfließenden, düsteren Wasser, den Luftwurzeln der Zypressen und den schweren Düften war ihre Welt ebenso wie die krummen Gassen und lebhaften Plätze des Viertels.
Als Kind hatte sie diese Welt durchstreift und erfahren, was der Unterschied zwischen einem Zaunkönig und einem Sperling war, wie man das Nest der Mokassinschlange am leichten Gurkenduft erkannte und wie man die Angel auswarf, um einen Katzenwels auf den Mittagstisch zu bringen.
Das war ihre Heimat aufgrund ihrer Geburt, wie das Viertel die Heimat ihrer ehrgeizigen Pläne geworden war. Hierher kehrte sie nicht nur zurück, wenn ihre Großmutter sich elend fühlte, sondern auch, wenn sie selbst bedrückt war.
Sie erhaschte einen Blick auf das knorrige Maul eines vorbeigleitenden Alligators. Was einen hinunterziehen konnte, lauerte immer unter der Oberfläche, überlegte sie, ein kurzes, hässliches Zuschnappen, und es war aus, wenn man nicht wachsam war und alle seine Sinne beieinander hatte.
Und unter der Oberfläche von Declan Fitzgerald lauerte einiges. Lieber wäre es ihr gewesen, er wäre ein verdorbenes, steinreiches Hätschelkind gewesen, das nur seinen Spaß wollte. Dann hätte sie ihn genießen und ihm, wenn ihnen beiden langweilig wurde, den Laufpass geben können.
Doch jemanden wegzuschicken, den man respektierte, war schwerer. Sie bewunderte seine Stärke, seine Entschlossenheit, seinen Humor. Als Freund wäre er eine sehr vergnügliche Gesellschaft.
Aber als Liebhaber machte er ihr höllische Angst.
Er wollte zu viel. Schon spürte sie, wie er sie in sich hineinsaugte. Und es versetzte sie in Panik, erschreckte sie, dass sie diesen Prozess allem Anschein nach nicht aufhalten konnte.
Gedankenverloren spielte sie an dem kleinen Schlüssel um ihren Hals und trat den Rückweg zum Haus im Bayou an. Es würde alles seinen Gang gehen, sagte sie sich. Wie immer.
Als sie sich dem Haus näherte und ihre Großmutter, von einem alten Strohhut geschützt, im Küchengarten werken sah, setzte sie ein Lächeln auf.
»Ich rieche frisch gebackenes Brot«, rief Lena ihr zu.
»Braunes Brot. Ich habe einen Laib im Backofen, den du mit nach Hause nehmen kannst.«
Odette richtete sich auf und drückte dabei leicht auf ihr Kreuz. »Und ich habe noch einen, den du dem Jungen im Herrenhaus bringen kannst. Er isst nicht anständig.«
»Er ist aber recht gesund.«
»Gesund genug, um sich von dir ein Stück abbeißen zu wollen.« Sie bückte sich wieder über ihre Arbeit, die derben Arbeitsstiefel fest auf dem Boden. »Hat er heute Morgen versucht, was abzubekommen? Dein Blick legt das jedenfalls nahe.«
Lena ging zu ihr und ließ sich auf der Stufe neben dem Gartenstück niedersinken. »Und was ist das
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