Mitten in der Nacht
davongeschossen.«
»Aber Sie sehen nicht so aus, als würden Sie irgendwohin wollen.«
»Nein.« Er nahm ihr gegenüber Platz und vertiefte sich wieder in das scheue, hoffnungsvolle Lächeln von Abigail Rouse Manet, als eine weitere Tür zuknallte. »Ich werde nirgendwo- hin gehen.«
11
Mardi Gras erinnerte an Wahnsinn. Die Musik, die Masken, das ganze Chaos steigerten sich zu einem rasenden Fest, dessen Grundton eine Mischung aus fröhlicher Unschuld und brutaler Sexualität war. Declan hatte seine Zweifel, ob der durchschnittliche Tourist, der dieses Ereignisses wegen hierher kam, seinen Zweck verstand oder auch nur verstehen wollte. Diesen Rausch, sich vor den vierzig Fastentagen noch einmal hemmungslos allen erdenklichen Freuden hinzugeben.
Weil Declan selbst auch davon kosten wollte, ließ er sich durch die Menge treiben und fing sogar ein paar der Perlenbänder auf, die in einem Goldregen von einer der Galerien geworfen wurden. Das Geschmetter der Blechinstrumente und das ausgelassene Gelächter dröhnten ihm in den Ohren.
Er entschied sich dafür, dass der Anblick nackter Brüste, die ein paar Schülerinnen zur Schau stellten, indem sie traditionsgemäß mit einem Ruck ihre Blusen hochrissen, nach ein paar alkoholischen Getränken weniger beunruhigend wäre.
Ebenso wie die Überfälle von völlig Fremden, die ihn zu kehlkopftiefen Küssen verführten. Die Zunge, die im Augenblick in seinen Mund eindrang, übertrug die alberne Süße vieler Hurricanes und glücklich trunkene Begierde auf ihn.
»Danke«, brachte er hervor, als er sich befreite.
»Komm doch wieder«, schrie ihm die maskierte Frau zu. »Laissez les bon temps rouler!«
Auf das Genießen guter Zeiten konnte er aber gern verzichten, wenn dazu fremde Zungen gehörten, die einem in den Mund gesteckt wurden, und er floh in die wuselnde Menge.
Vielleicht wurde er alt, überlegte er – oder es lag daran, dass er im Kern doch immer noch Bostoner war –, jedenfalls sehnte er sich nach einem Platz, wo er sich hinsetzen und das Fest als stiller Beobachter genießen konnte, ohne hineingezogen zu werden.
Die Türen des Et Trois standen weit offen, so dass der Lärm nach draußen drang und sich dort mit dem Krach der Straße vermischte. Er musste sich seinen Weg durch die Feiernden auf der Straße und diejenigen, die dicht gedrängt im Lokal standen, bahnen und sich dann noch einen Stehplatz am Tresen erkämpfen.
Alles war erfüllt von Rauch und Musik und dem Stampfen der Tänzer, die sich auf dem Holzboden der Tanzfläche fast auf die Füße traten. Auf der Bühne strich ein Fiedler derart rasant über die Saiten, dass es Declan nicht verwundert hätte, den Bogen in Flammen aufgehen zu sehen.
Lena zapfte mit der einen Hand ein Bier und goss mit der anderen ein Glas Bourbon ein. Auch die beiden anderen Barkeeper hatten alle Hände voll zu tun, ebenso die vier Bedienungen an den Tischen, soweit er das mit seinem eingeschränkten Gesichtsfeld beurteilen konnte.
Er entdeckte seine Langusten, die ihn vom Regal an der Thekenwand angrinsten, und freute sich kindisch.
»Ein Bier und ein Doppelter«, sagte Lena und schob die Gläser in wartende Hände. Als sie Declan entdeckte, hob sie einen Finger hoch, bediente noch drei Gäste und arbeitete sich auf ihn zu.
»Womit kann man dir eine Freude machen, Schöner?«
»Du bist meine Freude. Rappelvoll hier«, fügte er hinzu. »Hier drinnen und draußen auf dem Gehweg.«
»Banquette«, korrigierte sie ihn. »Hier nennen wir es Banquette.« Sie zog ihre Haare nach hinten und wand violette und goldene Perlen hinein. Der kleine Silberschlüssel baumelte auf ihrer schweißnassen Haut. »Ich kann dir was zu trinken geben, cher, aber zum Reden habe ich jetzt keine Zeit.«
»Kann ich dir zur Hand gehen?«
Sie strich sich das Haar zurück. »Wobei?«
»Egal.«
Jemand drängte sich rempelnd an den Tresen und bestellte einen Tequila Sunrise und ein Dixie vom Fass.
Lena langte nach hinten, um die Flasche zu holen, und zapfte dann das Bier. »Weißt du denn, wie man an den Tischen bedient, Collegejunge?«
»Ich kann es mir vorstellen.«
»Siehst du die rothaarige Bedienung? Das ist Marcella.« Sie nickte in das allgemeine Durcheinander. »Sag ihr, dass ich dich angestellt habe. Sie soll dir zeigen, was du tun musst.«
Um Mitternacht hatte er das Gefühl, eine halbe Tonne leere Gläser in die Küche geschleppt und mindestens den Mount Rainier in Form von Zigarettenkippen in den Mülleimer entsorgt zu
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