Mitten in der Nacht
Platinreif.
Sobald er ihn in der Hand hielt, wusste er, dass er ihn für Lena haben wollte. Vielleicht war es ja närrisch, in ihrem jetzigen Stadium der Beziehung einen Verlobungsring zu kaufen. Jedenfalls war es leichtsinnig, sich auf etwas festzulegen, ehe er sich die anderen Möglichkeiten angesehen hatte.
Aber das war genau das Stück, das er sich für sie vorstellte. Und da es schließlich auch Leute gab, die aus einer Laune heraus ein Pferd kauften, konnte er doch einen kleinen Ring kaufen.
»Ich nehme ihn.«
»Er ist fantastisch«, meinte die Ladenbesitzerin. »Eine glückliche Frau.«
»Ich arbeite noch daran, sie davon zu überzeugen.«
»Ich habe noch eine paar hübsche Ohrringe, die dazu passen. Ist der Rubin ihr Geburtsstein?«, erkundigte sich die Verkäuferin, als sie ihm ein Paar Ohrringe mit baumelnden Herzen aus Rubinen und Diamanten zeigte.
»Ich weiß es nicht.« Aber er hatte sich von Odette ihren Geburtstag sagen lassen, damit er ihn nicht verpasste. »Sie ist im Juli geboren.«
»Dann passt es. Sie haben eine glückliche Hand gehabt.«
»Im Ernst.« Als er den Ring noch einmal betrachtete, verspürte er ein leichtes Kribbeln. Manche Dinge sollten eben sein, sagte er sich. Er nahm einen der Ohrringe in die Hand. Er sah sie bereits an ihr – genauso wie die Verkäuferin vermutlich Impulsivkäufer auf seine Stirn gestempelt sah.
Er lehnte sich an die Ladentheke und versuchte sich mit den Verhandlungskünsten des Yankees gegen den südlichen Kuhhandel zu behaupten.
Als er registrierte, dass das Lächeln der Verkäuferin zwar immer noch vorhanden, aber längst nicht mehr so strahlend war, glaubte er einen fairen Preis erzielt zu haben.
»Ist das alles für heute?«
»Ja, ich muss los. Ich bin schon –« Er hielt inne, als er auf seiner Uhr entdeckte, dass sie schon wieder um zwölf Uhr stehen geblieben war. »Ach wissen Sie, ich könnte noch eine Uhr gebrauchen – eine Taschenuhr. Meine spielt verrückt. Ich mache zurzeit sehr viel Schreinerarbeiten. Wahrscheinlich hat meine dabei ein paar Mal was abbekommen.«
»Ich habe wunderschöne Taschenuhren und Ketten hier. Die sind viel fantasievoller als das, was heute hergestellt wird.«
Sie führte ihn zu einem anderen Schaukasten, zog eine Schublade heraus und stellte sie auf die Ladentheke.
»Solche Uhren sagen einem mehr als die Zeit«, fing sie an. »Sie erzählen eine Geschichte. Diese hier –«
»Nein.« Sein Gesichtsfeld schien sich an den Rändern in Rauch aufzulösen. Das Geplapper der übrigen Kunden schwächte sich zu einem Summen ab. Ein Teil von ihm blieb jedoch klar genug, um mitzubekommen, dass er von sich davonglitt. Doch selbst als er dagegen angehen und sich zurückziehen wollte, beobachtete er seine eigene Hand dabei, wie sie sich ausstreckte und eine goldene Uhr an der Kette herauspickte.
Die Stimme der Ladenbesitzerin schwebte irgendwo am Rand seines Bewusstseins. Doch es war eine andere Stimme, die ihn erreichte, die glockenklar zu ihm vordrang. Weiblich, jung, aufgeregt.
»Für meinen Mann, zu seinem Geburtstag. Er hat seine kaputtgemacht. Ich möchte etwas Besonderes für ihn. Die hier sieht gut aus. Können Sie die gravieren?«
Und noch ehe er die Uhr umdrehte, um zu lesen, was darauf stand, wusste er bereits, was er finden würde, wusste es ganz genau.
Für Lucian von seiner Abby.
Als Zeichen unserer gemeinsam verbrachten Zeit.
4. April 1899
»Mr. Fitzgerald? Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mr. Fitzgerald? Möchten Sie einen Schluck Wasser? Sie sehen schrecklich blass aus.«
»Wie bitte?«
»Darf ich Ihnen einen Schluck Wasser bringen? Möchten Sie sich hinsetzen?«
»Nein.« Er schloss seine Hand fest über der Uhr, aber das Gefühl ließ bereits nach. »Nein, danke. Es geht schon. Ich nehme die noch dazu.«
Ziemlich mitgenommen machte er sich auf den Weg in Remys Kanzlei. Er hoffte in diesem von Vernunft geprägten Geschäftsviertel und in der nüchternen Atmosphäre der Gesetzeswelt wieder zu sich zu kommen.
Außerdem wollte er ein paar Minuten mit einem Freund verbringen, der ihn zwar für verrückt halten mochte, ihn aber dennoch gern hatte.
»Wenn du dich angekündigt hättest«, begann Remy, als er die Tür zu seinem Büro schloss, »hätte ich schnell ein paar Termine verschoben, und wir hätten zusammen essen gehen können.«
»Ich hatte heute eigentlich gar nicht vorgehabt, hier vorbeizukommen.«
»Warst wohl wieder einkaufen?« Remy deutete mit einem Kopfnicken auf die Tüte, die
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