Mitternacht
Loman etwas, das ihm eine Gänsehaut verschaffte.
Er machte die Augen zu.
Wartete.
Machte sie wieder auf.
Es war keine Illusion.
Ihm war übel. Er wollte auf den Flur zurückgehen, die Tür zumachen und vergessen, was er gesehen hatte und weggehen. Aber er konnte sich nicht bewegen, konnte den Blick nicht abwenden.
Denny hatte die Tastatur des Computers entfernt und auf den Boden neben den Stuhl gestellt. Er hatte die Verkleidung der Datenverarbeitungseinheit abgeschraubt. Seine Hände lagen im Schoß, aber sie waren keine richtigen Hände mehr. Die Finger waren grotesk langgezogen und endeten nicht mehr in Kuppen und Fingernägeln, sondern gin gen in metallisch aussehende Kabel über, die so dick wie Lampenkordeln waren, sich ins Innere des Computers schlängelten und dort verschwanden.
Denny brauchte die Tastatur nicht mehr.
Er war zum Bestandteil des Systems geworden. Durch seinen Computer und die Modem-Verbindung zu New Wave war Denny eins mit der Sonne geworden.
»Denny?«
Er hatte eine veränderte Daseinsform angenommen, aber keine, wie sie von den Regressiven gesucht wurde.
»Denny?«
Der Junge antwortete nicht.
»Denny!«
Ein seltsames leises Klicken und pulsierende elektronische Laute kamen vom Computer.
Loman betrat widerstrebend das Zimmer und ging zum Schreibtisch. Er sah auf seinen Sohn und erschauerte.
Dennys Mund stand offen. Speichel troff ihm am Kinn herunter. Er war durch seinen Kontakt mit dem Computer so gefesselt, daß er sich nicht die Mühe gemacht hatte, zum Essen oder Austreten aufzustehen; er hatte sich in die Hosen uriniert.
Seine Augen waren nicht mehr da. An ihrer Stelle saßen zwei glänzende Kugeln, die wie geschmolzenes Silber aussahen und wie Spiegel funkelten. Sie spiegelten die Daten, die vor ihnen über den Bildschirm wanderten.
Die pulsierenden Laute, leise elektronische Oszillationen, kamen nicht vom Computer, sondern von Denny selbst.
15
Die Eier waren gut, die Pfannkuchen noch besser, der Kaffee so stark, daß er fast die Bemalung der Porzellantassen ablö ste, aber nicht so stark, daß man ihn kauen mußte. Beim Essen schilderte Sam ihnen den Plan, den er gemacht hatte, um eine Nachricht aus der Stadt hinaus und zum Bureau zu bringen.
»Ihr Telefon ist immer noch tot, Harry. Ich habe es heute morgen versucht. Und ich glaube nicht, daß wir es riskieren können, zu Fuß oder mit dem Auto die Autobahn zu -erreichen, da sie überall Straßensperren haben und Patrouillen unterwegs sind; das muß unser allerletzter Ausweg bleiben. Schließlich sind wir, soweit wir wissen, die einzigen Menschen, die sich darüber im klaren sind, daß hier etwas wirklich... Unglaubliches vor sich geht, das man unbedingt aufhalten muß. Wir und vielleicht diese kleine Foster, von der die Polizisten gestern abend über VDT gesprochen haben.«
»Wenn sie wirklich ein kleines Mädchen ist«, sagte Tessa, »ein Kind, selbst ein Teenager, dürfte sie kaum Chancen gegen sie haben. Wir müssen davon ausgehen, daß sie sie erwischen, wenn sie sie nicht schon haben.«
Sam nickte. »Und wenn sie uns auch festnageln, wenn wir versuchen, die Stadt zu verlassen, ist niemand mehr übrig. Daher sollten wir zuerst eine Vorgehensweise mit geringem Risiko versuchen.«
»Gibt es denn eine Vorgehensweise mit geringen Risiken?« fragte sich Harry, während er Eidotter mit einem Stück Toast aufwischte, das er langsam und mit einer rührenden Präzision verzehrte, die daher kam, daß er nur einen Arm gebrauchen konnte.
Sam goß ein wenig Ahornsirup über seine Pfannkuchen und nahm überrascht zur Kenntnis, wieviel er aß, schrieb seinen Appetit aber der Tatsache zu, daß es möglicherweise seine Henkersmahlzeit war; er sagte: »Sehen Sie... dies ist eine verkabelte Stadt.«
»Verkabelt?«
»Computerverbindungen. New Wave gab der Polizei Computer, daher werden sie ans Netz angeschlossen sein...«
»Und die Schulen«, sagte Harry. »Ich erinnere mich, ich habe letzten Frühling oder Frühsommer in der Zeitung darüber gelesen. Sie haben der Grund- und der High School eine Menge Computer und Software gegeben. Eine Geste öffentlichen Interesses, wie sie es nannten.«
»Sieht ganz so aus, als wäre das nicht der einzige Grund, was?« sagte Tessa.
»Verdammt richtig.«
Tessa sagte: »Sieht ganz so aus, als hätten sie ihre Computer aus denselben Gründen in den Schulen haben wollen, weshalb sie die Polizei computerisieren wollten - um alle eng mit New Wave zu verknüpfen, damit sie sie überwachen
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