Mitternacht
illegalen Mittel - hatten nichts mit dem Tod von Eddie zu tun. Loman war immer noch überrascht, wie leicht es ihm fiel, einen guten Freund zu belügen, denn das war etwas, das er früher nicht gekonnt hätte. Das Unmo ralische des Lügens war ein Konzept, das mehr zu den Alten Menschen und ihrer turbulenten emotionalen Welt gehörte. Altmodische Konzepte, herkömmliche Moralbegriffe, würden letztlich für die Neuen Menschen bedeutungslos werden, denn wenn sie sich alle so veränderten, wie Shaddack glaubte, würden Leistungsfähigkeit und Zielstrebigkeit und höchster Wirkungsgrad die einzigen absoluten moralischen Werte sein. »Heutzutage krankt das ganze Land an Drogenfreaks. Ausgebrannte Gehirne. Keine Moral, keine Ziele, außer billigem Nervenkitzel. Sie sind unser Erbe das kürzlichen Zeitalters des Jeder-für-sich. Der Kerl war ein von Drogen kaputtgemachter Freak, George, und ich schwöre dir, daß wir ihn erwischen.«
George sah wieder in seinen Whiskey. Er trank davon. Dann sagte er mehr zu sich selbst als zu Loman: »Eddie spielte bei Dämmerung hinten im Garten, hier hinten im Garten, wo man ihn sehen konnte, wenn man zum Fenster hinaussah...« Seine Stimme erstarb.
Loman ging widerstrebend die Treppe hinauf zum Schlafzimmer, um nach Nella zu sehen.
Sie lag von Kissen gestützt im Bett, und Dr. Jim Worthy saß auf einem Sessel, den er zu ihr geschoben hatte. Er war der jüngste der drei Ärzte in Moonlight Cove, achtunddreißig, ein ernster Mann mit ordentlich geschnittenem Schnurrbart, einer Nickelbrille und einer Vorliebe für Krawatten. Die Tasche des Arztes stand zu seinen Füßen auf dem Bo den. Ein Stethoskop hing ihm um den Hals. Er zog eine ungewöhnlich große Spritze aus einer Hasche voll goldener Flüssigkeit auf.
Worthy drehte sich zu Loman um, ihre Blicke begegneten sich, und sie mußten nichts sagen.
Nella Vadolski hatte Lomans leise Schritte entweder gehört oder seine Anwesenheit auf subtilere Weise gespürt, denn sie schlug die vom Weinen roten und geschwollenen Augen auf. Sie war immer noch eine reizende Frau mit flachsblondem Haar und Gesichtszügen, die zu fein schie nen, um das Werk der Natur zu sein, und mehr an die erle sene Kunst eines meisterlichen Bildhauers erinnerten. Ihr Mund wurde weicher und zitterte, als sie seinen Namen aussprach: »Oh, Loman.«
Er ging um das Bett herum, zur Seite, die Dr. Worthy gegenüberlag, und ergriff die Hand, die Nella ihm entgegenstreckte. Sie war klamm, kalt und zitterte.
»Ich gebe ihr ein Beruhigungsmittel«, sagte Worthy. »Sie muß sich entspannen - oder schlafen, wenn sie kann.« »Ich will nicht schlafen«, sagte Nella. »Ich kann nicht schlafen. Nicht nach... nicht nach alledem... nie mehr nach alledem.«
»Ruhig«, sagte Loman und streichelte sanft ihre Hand. Er setzte sich auf die Bettkante. »Dr. Worthy wird sich um dich kümmern. Es ist zu deinem Besten, Nella.«
Loman hatte diese Frau, die Frau seines besten Freundes, sein halbes Leben lang geliebt, ohne jemals seinen Gefühlen entsprechend zu handeln. Er hatte sich immer gesagt, daß sie eine rein platonische Faszination ausübte. Doch als er sie jetzt ansah, wußte er, daß auch Leidenschaft dazugehört hatte.
Das Beängstigende war... nun, er wußte, was er all die Jahre für sie empfunden hatte, aber obwohl er sich daran erinnerte, konnte er es nicht mehr empfinden. Seine Liebe, die Leidenschaft, sein angenehmes, aber melancholisches Be gehren, alles war ebenso verschwunden wie seine anderen emotionalen Empfindungen; er wußte noch um seine früheren Gefühle ihr gegenüber, aber sie waren wie ein anderer Aspekt von ihm, der sich abgespalten hatte und davonschwebte wie eine Seele den verstorbenen Körper verlassen mochte.
Worthy legte die gefüllte Spritze auf den Nachttisch. Er knöpfte den Ärmel von Nellas Bluse auf und schob ihn hoch, dann schnallte er ihr ein Gummiband um den Oberarm, damit die Vene deutlicher hervortrat.
Während der Arzt Nellas Arm mit einem alkoholgetränkten Wattebausch abrieb, sagte sie: »Loman, was sollen wir nun tun?«
»Alles wird gut«, sagte er und streichelte ihre Hand. »Nein. Wie kannst du das sagen? Eddie ist tot. Er war so lieb, so klein und lieb, und jetzt ist er tot. Nichts wird je wieder gut werden.«
»Dir wird es schon sehr bald besser gehen«, versicherte Loman ihr. »Der Kummer wird vorübergehen, bevor du es richtig bemerkst. Er wird nicht mehr so wichtig sein wie jetzt. Das verspreche ich dir.«
Sie blinzelte und sah
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