Mitternacht
ihn an, als würde er Unsinn reden, aber sie wußte ja auch nicht, was man mit ihr machen würde.
Worthy stach ihr die Nadel in den Arm.
Sie zuckte zusammen.
Die goldene Flüssigkeit strömte aus der Spritze in ihren Blutkreislauf.
Sie machte die Augen zu und fing wieder leise an zu weinen, aber nicht, weil die Nadel weh tat, sondern aus Kummer um ihren Sohn.
Vielleicht ist es besser, nicht so sehr zu empfinden, nicht so sehr zu lieben, dachte Loman.
Die Spritze war leer.
Worthy zog die Nadel aus der Vene.
Loman sah dem Arzt wieder in die Augen.
Nella bebte.
Die Verwandlung würde noch zwei Injektionen erfordern, und jemand mußte die nächsten vier oder fünf Stunden bei Nella bleiben, und zwar nicht nur, um ihr das Mittel zu verabreichen, sondern um darauf zu achten, daß sie sich während der Verwandlung nicht selbst Schaden zufügte. Es war kein schmerzloser Vorgang, zu einem Neuen Menschen zu werden.
Nella erbebte erneut.
Worthy neigte den Kopf, das Licht der Lampe fiel in einem anderen Winkel auf die Brille und verwandelte die Gläser in Spiegel, die einen Moment lang seine Augen verbargen und ihm ein ungewöhnlich bedrohliches Aussehen verliehen.
Ein heftigeres, anhaltenderes Beben schüttelte Nella die sesmal.
George Valdoski sagte von der Tür: »Was geht hier vor?« Loman hatte sich so auf Nella konzentriert, daß er George nicht kommen gehört hatte. Er stand sofort auf und ließ Nellas Hand los. »Der Arzt dachte, sie bracht...«
»Was soll diese Pferdespritze?« sagte George und deutete auf die Spritze, deren Nadel nicht größer als die einer normalen Spritze war.
»Beruhigungsmittel«, sagte Dr. Worthy. »Sie muß...« »Beruhigungsmittel?« unterbrach ihn George. »Sieht aus, als hätten Sie ihr genügend gegeben, einen Bullen damit ein zuschläfern.«
Loman sagte: »Also George, der Doktor weiß, was er...« Nella, die auf dem Bett lag, geriet ganz unter den Einfluß der Injektion. Ihr ganzer Körper wurde plötzlich starr, sie ballte die Hände zu Fäusten und biß die Zähne zusammen, ihre Kiefermuskeln verkrampften sich. Die Arterien an Hals und Schläfen schwollen an und pulsierten deutlich, als sich der Herzschlag drastisch beschleunigte. Ihre Augen wurden glasig, sie verfiel in die eigentümliche Dämmerung der Veränderung, weder bei Bewußtsein noch bewußtlos.
»Was hat sie denn?« wollte George wissen.
Nella gab zwischen zusammengebissenen Zähnen und verzerrten Lippen hervor ein seltsames, leises Stöhnen von sich. Sie krümmte den Rücken, bis nur noch Schultern und Fersen Kontakt mit dem Bett hatten. Sie schien voll gewaltsamer Energie zu sein, wie ein Boiler, der unter zu hohem Dampfdruck steht, und einen Augenblick schien es, als würde sie explodieren. Dann sank sie wieder auf die Matratze und zitterte heftiger denn je, während ihr kalter Schweiß ausbrach.
George sah von Worthy zu Loman. Ihm war eindeutig klargeworden, daß etwas nicht stimmte, aber er begriff nicht einmal ansatzweise, was das war.
»Halt.« Loman zog den Revolver, als George in Richtung Flur zurückwich. »Komm hierher, George, und leg dich neben Nella aufs Bett.«
George Valdoski erstarrte unter der Tür und betrachtete den Revolver ungläubig und mißbilligend.
»Wenn du zu fliehen versuchst«, sagte Loman, »muß ich dich erschießen, und das würde ich wirklich nicht gerne tun.«
»Das würdest du nicht fertigbringen«, sagte George, der darauf baute, daß ihre jahrzehntelange Freundschaft ihn schützte.
»Doch, das würde ich«, sagte Loman kalt. »Ich würde dich umbringen, wenn es sein muß, und wir würden uns als Tarnung eine Geschichte ausdenken, die dir ganz und gar nicht gefallen würde. Wir würden sagen, wir hätten dich einer Falschaussage überführt, wir hätten Beweise gefunden, daß du Eddie getötet hast, daß du deinen eigenen Jungen umgebracht hast, eine krankhafte Sex-Sache, und als wir dich mit den Beweisen konfrontierten, hast du meinen Revolver aus dem Halfter gezogen. Es kam zum Handgemenge. Du bist erschossen worden. Fall abgeschlossen.«
Lomans Drohung war, da sie von einem Mann kam, der angeblich ein enger und geschätzter Freund war, so monströs, daß George zuerst sprachlos war. Als er dann wieder ins Zimmer trat, sagte er: »Du würdest jeden denken lassen, daß ich... Eddie so etwas Schreckliches antun würde? Warum? Was machst du da, Loman? Was, zum Teufel, machst du da? Wen... wen beschützt du?«
»Leg dich aufs Bett«, sagte Loman.
Dr. Worthy
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