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Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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dorthin schauen, in dem er zwischen zwei Häusern auf der anderen Seite seiner eigenen Straße hindurchsah, am dicken Stamm einer großen Big Cone-Pinie vorbei und über den Verbindungsweg zwischen Juniper und Conquistador hinweg. Der Hinterhof grenzte an diesen Weg an, und Harry konnte auch eine Ecke der Garage sehen, in der der Leichenwagen parkte, den Hin tereingang des Hauses selbst und den Eingang zum neuen Flügel, wo die Leichen einbalsamiert und zum letzten Abschied vorbereitet oder eingeäschert wurden.
    Harry hatte im Verlauf der letzten zwei Monate einige seltsame Vorkommnisse bei Callan gesehen. Heute jedoch belebte nichts Ungewöhnliches Harrys geduldige Wache über den Hof.
    »Moose?«
    Der Hund erhob sich von seinem Ruheplatz in der Ecke und trottete durch das dunkle Schlafzimmer zu Harry. Es war ein ausgewachsener schwarzer Labrador, der in der Dunkelheit so gut wie nicht zu sehen war. Er strich an Harrys Bein entlang, dem rechten, in dem Harry noch etwas Ge fühl hatte.
    Harry ließ die Hand sinken und tätschelte Moose. »Hol mir ein Bier, alter Kumpel.«
    Moose war ein Behindertenhund, der von Canine Companions for Independence abgerichtet worden war, und er freute sich immer, wenn er gebraucht wurde. Er eilte zu dem kleinen Kühlschrank in der Ecke, der als Einbauelement unter Restauranttheken gedacht war und mit einem Fußpedal geöffnet werden konnte.
    »Da ist keins«, sagte Harry. »Ich habe heute nachmittag vergessen, einen Sechserpack aus der Küche heraufzubrin gen.«
    Der Hund hatte bereits festgestellt, daß im Kühlschrank im Schlafzimmer kein Coors war. Er tappste auf den Flur, seine Krallen klickten leise auf dem Parkettboden. Keine Teppiche, denn der Rollstuhl rollte auf glatten, harten Flä chen besser. Der Hund sprang im Flur hoch und erwischte die Taste des Fahrstuhls mit einer Pfote, worauf sofort das Summen des Lifts durch das Haus dröhnte.
    Harry richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf das Teleskop und den Hinterhof von Callans Bestattungsinstitut. Nebelschwaden trieben durch die Stadt, manche dicht und undurchdringlich, manche hauchzart. Aber der Innenhof des Instituts wurde von Scheinwerfern erhellt, so daß er deutlich sehen konnte; durch das Teleskop schien er zwischen den gemauerten Pfosten zu stehen, die auf beiden Seiten der Einfahrt zum hinteren Teil des Grundstücks standen. Wäre die Nacht nicht neblig gewesen, hätte er die Nieten in der Eisentür des Krematoriums sehen können.
    Hinter ihm gingen die Fahrstuhltüren auf. Er hörte, wie Moose in den Lift sprang. Dann senkte er sich in den ersten Stock hinunter.
    Da Callans ihn langweilte, drehte Harry das Teleskop langsam nach links und verlagerte seinen Sehbereich nach Süden, zu dem großen, unbebauten Grundstück neben dem Bestattungsinstitut. Er stellte die Schärfe ein, sah über das verlassene Gelände und über die Straße zum Haus der Gosdales an der Westseite der Juniper, wo er das Eßzimmer anvisierte.
    Er schraubte mit seiner intakten Hand das Okular ab, legte es auf einen hohen Metalltisch neben dem Stuhl und schraubte rasch eines von mehreren anderen Okularen an, um den Blick auf die Gosdales zu verbessern. Da der Nebel momentan dünner war, konnte er so gut ins Eßzimmer der Gosdales sehen, als würde er auf ihrer Veranda kauern und das Gesicht ans Fenster drücken. Herman und Louise Gosdale spielten mit Dan und Vera Kaiser, ihren Nachbarn, Pinnokel, wie immer montagsabends und manchmal freitags. Der Fahrstuhl war im Erdgeschoß angekommen; der Motor hörte auf zu summen, Schweigen erfüllte das Haus wieder. Moose war jetzt zwei Stockwerke tiefer und eilte durch den Flur zur Küche.
    In ungewöhnlich klaren Nächten konnte Harry manchmal sogar das Pinnokelblatt von Dan Kaiser erkennen, wenn die ser mit dem Rücken zum Fenster und im richtigen Winkel saß. Er hatte schon ein paarmal die Verlockung verspürt, Herman Gosdale anzurufen, ihm die Karten seines Gegenspielers zu beschreiben und ihm einen Rat zu geben, wie er den Trick ausspielen könnte.
    Aber er wollte die Leute nicht wissen lassen, daß er den größten Teil des Tages im Schlafzimmer verbrachte - das nachts unbeleuchtet war, damit man seinen Umriß nicht am Fenster erkennen könnte - und heimlich an ihrem Leben teilnahm. Sie würden ihn nicht verstehen. Gesunde standen Krüppeln von vorneherein immer mit einem gewissen Arg wohn gegenüber, denn sie glaubten nur zu bereitwillig, daß sich Mißbildungen an Armen und Beinen auch auf den

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