Mitternacht
hatte. Die vier Leichen waren so sehr verbrannt, daß man sie lediglich anhand zahnärztlicher Unterlagen identifizieren konnte. Sam hatte die erste Flasche Guinness leergetrunken und griff nach der zweiten, zögerte aber. Er mußte heute abend noch Arbeit erledigen. Wenn er besonders düsterer Stirn mung war und anfing, Bier zu trinken, konnte er manchmal nicht mehr aufhören, bis er sich fast bewußtlos betrunken hatte.
Sam hielt sich zum Trost an der leeren Flasche fest und überlegte sich, warum ein Junge, der ein Feuer gelegt hatte, nicht um Hilfe rief und seine Eltern weckte, wenn er sah, daß das Feuer außer Kontrolle geriet. Warum lief der Junge nicht weg, bevor der Rauch ihn betäubt hatte? Und was für eine Art Feuer, wenn nicht eines, das mit Benzin oder einer anderen brennbaren Flüssigkeit unterstützt wurde (und davon stand nichts in den offiziellen Unterlagen), griff so schnell um sich, daß niemand von der Familie entkommen konnte, und verwandelte das Haus - und die Leute darin - zu Asche, bevor die Feuerwehr kommen und löschen konnte.
Wieder sehr hübsch. Die Leichen waren so sehr verbrannt, daß keine Autopsie hätte feststellen können, ob das Feuer nicht von Billy, sondern von jemandem, der die wahre Todesursache verheimlichen wollte, gelegt worden war. Auf Anraten des Bestattungsunternehmers - dem Callans Bestattungsinstitut gehörte und der ebenfalls gerichtsmedizinischer Assistent und daher Verdächtiger bei allen offiziellen Vertuschungsmanövern war - hatte die nächste Anverwandte der Mayers, Melinda Mayers Mutter, die Einäscherung der sterblichen Überreste genehmigt. Damit wurden alle möglichen Beweise vernichtet, die das ursprüngliche Feuer nicht vernichtet hatte.
»Wie geschickt«, sagte Sam laut und legte die Füße auf den anderen Stuhl. »Wie ungemein geschickt und sauber.« Opfer: vier.
Dann am 5. September die Bustamentes und Sanchez. Wieder ein Feuer. Gefolgt von einer überschnellen Einäscherung.
Opfer: sieben.
Am 7. September, als verdampfte Überreste der Bustamentes und von Sanchez noch in der Luft über Moonlight Cove hätten sein können, ließ ein zwanzigjähriger Bewohner der Stadt, Jim Armes, die Man/ Leandra, sein sechs Meter langes Boot, zu Wasser, um früh am Morgen zu segeln - und er wurde nie wieder gesehen. Obwohl er ein erfahrener Seemann war, obwohl der Tag klar und das Meer ruhig war, war er offenbar von einer Strömung aufs offene Meer gezo gen worden, denn es wurden keine identifizierbaren Wrackteile ans Ufer gespült.
Opfer: acht.
Sechs Tage, nachdem man im Fall Bustamente-Sanchez aktiv geworden war, hatte das FBI Paula Parkins' Leichnam aus einem Grab in Denver exhumieren lassen. Eine Autopsie ergab, daß die Frau tatsächlich von zahlreichen Tieren zu Tode gebissen und zerfetzt worden war.
Sam erinnerte sich Wort für Wort an die interessantesten Stellen das Autopsieberichts:.. .aber Bißspuren, Schürfwunden, Risse in der Haut und spezielle Verletzungen an Brüsten und Geschlechtsorganen lassen sich nicht völlig mit einem Angriff von Hunden vereinbaren. Zahnmuster und Größe der Bisse passen nicht zum Zahnprofil eines durchschnittlichen Dobermanns oder eines anderen Tieres, das als aggressiv bekannt ist und einen Erwachsenen erfolgreich angreifen könnte. Später, im selben Bericht, hieß es hinsichtlich der wahren Natur von Parkins‘ Angreifern: Rasse unbekannt.
Wie war Paula Parkins wirklich gestorben?
Welches Grauen und Leid hatte sie erlebt?
Wer versuchte, Dobermänner die Schuld unterzuschieben? Und welchen Beweis hätten die Kadaver der Dobermänner hinsichtlich der Art ihres eigenen Todes und daher der Wahrheit des Polizeiberichts bieten können?
Sam dachte an den seltsamen fernen Schrei, den er heute abend gehört hatte – wie der eines Koyoten, aber nicht von einem Koyoten; wie der einer Katze, aber nicht von einer Katze. Und er dachte auch an die unheimlichen, gepreßten Stimmen der Bande, die ihn verfolgt hatte. Irgendwie paßte das alles Zusammen. Bureau-Instinkt.
Rasse unbekannt.
Der beunruhigte Sam versuchte, seine Nerven mit Guinness zu beschwichtigen. Die Flasche war immer noch leer. Er klickte nachdenklich damit gegen die Zähne.
Sechs Tage nach Parkins‘ Tod und lange vor der Exhumie rang in Denver fanden zwei weitere Menschen in Moonlight Cove ein unzeitiges Ende. Steve Heinz und Laure Dalcoe, die nicht verheiratet waren, aber zusammen lebten, wurden tot in ihrem Haus am Iceberry Way aufgefunden. Heinz schrieb
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