Mitternacht
Ratten, Schwärme bluttrinkender Fledermäuse. Schließlich fragte sie sich, ob im Lauf der Jahre nicht einmal ein Kind in diesen Tunnel gekrochen sein mochte, um zu spielen; es hätte sich im Netz der Rohre verirren und unentdeckt hier sterben können. Seine Seele wäre selbstverständlich hier zurückgeblieben, weil sein Tod so unangemessen früh erfolgt war, und die Seele nicht durch ein ordentliches Begräbnis befreit worden war. Vielleicht belebte sein Geist gerade die toten Gebeine und schleifte den verwesten, von der Zeit ausgetrockneten Leichnam in ihre Richtung, wobei Stückchen ledrigen, halb versteinerten Fleisches abbröckelten. Chrissie war elf Jahre alt und für ihr Alter sehr reif, daher sagte sie sich immer wieder, daß es keine Gespenster gab, aber dann mußte sie an ihre Eltern und Tucker denken, die zu einer Art von Werwölfen geworden zu sein schienen, um Gottes willen, und wenn große Trucks auf der Autobahn vorüberfuhren, wagte sie kaum noch, sich die Ohren zuzuhalten, weil sie fürchtete, das tote Kind könnte im Schutz des Lärms näher und näher herankriechen.
Sie mußte hinaus.
21
Als er die finstere Garage verließ, in der er vor der Bande jugendlicher Krimineller im Drogenrausch - denn als solche betrachtete er sie mittlerweile; (er wußte keine andere Er klärung) Zuflucht gesucht hatte, lief Sam Booker direkt zur Ocean Avenue und ging unterwegs noch ganz kurz in die Knight's Bridge Tavern, wo er einen Sechserpack Guinness Stout zum Mitnehmen kaufte.
Später saß er in einem Zimmer im Cove Lodge an dem kleinen Tisch und trank Bier, während er über die Fakten des Falles nachdachte. Am 5. September waren drei Organisatoren der Nationalen Farmerarbeitergewerkschaft - Julio Bustamente, seine Schwester Maria Bustamente und Roman Sanchez, Marias Verlobter - von den Weinanbaugebieten, wo sie mit den Winzern Gespräche über die bevorstehende Ernte geführt hatten, nach Süden gefahren. Sie fuhren einen vier Jahre alten braunen Chevy-Lieferwagen. Sie gingen in Moonlight Cove essen. Sie hatten im Perez Family-Restaurant gegessen und zu viele Margaritas getrunken (wie Kellner und Gäste des Perez an jenem Abend aussagten), und sie hatten auf dem Rückweg zur Autobahn eine gefährliche Kurve zu schnell genommen; der Lieferwagen hatte sich überschlagen und Feuer gefangen. Keiner der drei hatte überlebt.
Die Geschichte hätte vielleicht standgehalten, und das FBI wäre vielleicht nie in die Ermittlungen eingeschaltet worden, wären da nicht ein paar Unstimmigkeiten gewesen. Zunächst einmal war laut Polizeibericht von Moonlight Cove Julio Bustamente gefahren. Aber Julio hatte in seinem ganzen Leben noch kein Auto gefahren; außerdem war es unwahrscheinlich, daß er das nach Einbruch der Dunkelheit getan haben würde, denn er litt an einer Form von Nachtblindheit. Darüber hinaus waren laut der in dem Bericht angeführten Zeugenaussagen alle - Julio und Maria und Ramon - betrunken gewesen, aber niemand, der Julia oder Ramon kannte, hatte sie je vorher betrunken gesehen, und Maria war Zeit ihres Lebens Antialkoholikerin gewesen. Das Verhalten der Behörden von Moonlight Cove machte die Familien Sanchez und Bustamente stutzig. Sie wurden erst am 10. September, fünf Tage nach dem Unglück, von den drei Todesfällen in Kenntnis gesetzt. Polizeichef Loman Watkins hatte erklärt, daß die Ausweise von Julio, Maria und Ramon bei dem Feuer vernichtet worden und die Leichen zu verkohlt waren, um eine schnelle Identifizierung anhand von Fingerabdrücken zu ermöglichen. Was war mit dem Nummernschild des Lieferwagens? Seltsamerweise hatte Loman weder am Fahrzeug noch in der Umgebung der Unfallstelle eines gefunden. Da er es mit drei böse verstümmelten und verbrannten Leichen zu tun hatte und die Verwandten nicht rechtzeitig in Kenntnis setzen konnte, hatte er den Gerichtsmediziner Dr. lan Fitzgerald ermächtigt, die Totenscheine auszufüllen und die Leichen anschließend durch Einäschern zu beseitigen. »Sie müssen verstehen, daß wir nicht über die Einrichtung einer großstädtischen Leichenhalle verfügen«, hatte Watkins erklärt. »Wir können Leichen nicht über längere Zeit hinweg aufbewahren, und wir konnten unmöglich wissen, wieviel Zeit wir brauchen würden, diese Leute zu identifizieren. Wir dachten, es könnte sich um Obdachlose oder gar illegale Einwanderer handeln, und in diesem Fall hätten wir sie nie identifizieren können.«
Hübsch, dachte Sam grimmig, während er sich in dem
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