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Mitternacht

Mitternacht

Titel: Mitternacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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führten vom Gehweg zu einer schmalen Veranda. Keine Straßenlaternen erhellten diesen Block, und auch auf Talbots Grundstück befanden sich keine Wegleuchten oder Gartenlampen, wofür Sam dankbar war.
    Tessa Lockland stand dicht hinter ihm auf der Veranda, als er klingelte, wie sie den ganzen Weg von der Wäscherei dicht bei ihm geblieben war.
    Er konnte die Klingel drinnen über das lärmende Rascheln des Windes in den Bäumen hören.
    Tessa, die zur Conquistador zurücksah, sagte: »Manchmal wirkt es wie eine Leichenhalle, nicht wie eine Stadt, von Toten bewohnt, aber dann...«
    »Dann?«
    »...kann man trotz der Stille und des Schweigens die Energie des Ortes spüren, gewaltige gespeicherte Energie, als wäre eine riesige, verborgene Maschine direkt unter den Straßen, direkt unter dem Boden... und als wären auch die Häuser voller Maschinen, alle eingeschaltet und aktiv, mit Kolben und Zahnrädern, die nur darauf warteten, daß jemand die Kupplung losläßt und sie alle in Bewegung setzt.«
    Das war ganz genau Moonlight Cove, aber Sam war nicht imstande gewesen, die Stimmung des Ortes in Worte zu kleiden.
    Er läutete noch einmal und sagte:
    »Ich dachte, um Filme zu machen, müsse man so gut wie analphabetisch sein.«
    »Das sind die meisten Regisseure in Hollywood auch, aber ich bin eine ausgestoßene Dokumentarfilmerin, daher darf ich noch denken - solange es nicht zuviel wird.«
    »Wer ist da?« sagte eine blecherne Stimme, die Sam erschreckte. Sie kam aus einem Lautsprecher, den er nicht gesehen hatte. »Wer ist da, bitte?«
    Sam beugte sich dicht an die Sprechanlage. »Mr. Talbot? Harold Talbot?«
    »Ja. Wer sind Sie?«
    »Sam Booker«, sagte er leise, so daß man seine Stimme außerhalb von Talbots Veranda nicht hören konnte. »Tut mir leid, daß ich Sie wecke, aber ich komme als Antwort auf Ihren Brief vom achten Oktober.«
    Talbot schwieg. Dann klickte die Sprechanlage, und er sagte: »Ich bin im dritten Stock. Ich brauche Zeit, um nach unten zu kommen. In der Zwischenzeit schicke ich Moose. Bitte geben Sie ihm Ihren Ausweis, damit er ihn mir bringen kann.«
    »Ich habe keinen FBI-Ausweis«, sagte Sam. »Ich bin inkognito hier.«
    »Führerschein?« fragte Talbot.
    »Ja.«
    »Das genügt.« Er schaltete ab.
    »Moose?« sagte Tessa.
    »Keine Ahnung«, sagte Sam.
    Sie warteten beinahe eine Minute und fühlten sich auf der einsichtigen Veranda verwundbar, und sie erschraken beide, als ein Hund durch eine Klappe herauskam, die sie vorher nicht bemerkt hatten, und zwischen ihren Beinen dahinlief. Sam erkannte einen Augenblick nicht, was es war, und taumelte überrascht rückwärts und verlor beinahe das Gleichgewicht.
    Tessa bückte sich, um den Hund zu streicheln, und flü sterte: »Moose?«
    Mit dem Hund war ein wenig Licht auf die Veranda herausgekommen, aber jetzt, wo die Klappe wieder geschlossen war, war es fort. Der Hund war schwarz und in der Nacht kaum zu sehen.
    Sam kauerte neben ihm, ließ sich die Hand von ihm lecken und sagte: »Und dir soll ich meinen Ausweis geben?«
    Der Hund wuffte leise, als wollte er zustimmen.
    »Du wirst ihn fressen«, sagte Sam.
    Tessa sagte: »Das wird er nicht.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Er ist ein guter Hund.«
    »Ich traue ihm nicht.«
    »Schätze, das ist Ihr Job.«
    »Hm?«
    »Niemandem zu trauen.«
    »Und meine Natur.«
    »Vertrauen Sie ihm«, beharrte sie.
    Er gab ihm seine Brieftasche. Der Hund nahm sie Sam aus der Hand, hielt sie zwischen den Zähnen und ging durch die Klappe wieder ins Haus.
    Sie standen noch ein paar Minuten auf der dunklen Veranda, während Sam versuchte, sein Gähnen zu unterdrücken. Es war zwei Uhr morgens, und er überlegte, ob er zu seiner Liste der vier Gründe weiterzuleben noch einen fünften zu fügen sollte: Gutes mexikanisches Essen, Guinness Stout, Goldie Hawn, Angst vor dem Sterben und der Wunsch zu schlafen. Seliges Schlafen. Dann hörte er das Poltern und Klirren von Schlössern und Riegeln, die mühsam entfernt wurden, schließlich ging die Tür auf und offenbarte eine spärlich erleuchtete Diele.
    Harry Talbot, der einen blauen Pyjama und einen grünen Morgenmantel anhatte, saß in seinem motorisierten Rollstuhl. Er hatte den Kopf immerfort schief gelegt, eine fragende Haltung, die ebenfalls Teil seines Vietnam-Erbes war. Er war ein hübscher Mann, wenn auch sein Gesicht vorzeitig gealtert war und zu tiefe Falten für einen Vierzigjährigen aufwies. Sein dichtes Haar war halb weiß, die Augen uralt. Sam konnte sehen,

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