Mitternachtserwachen
unnatürlichen Eisblau. Der Maler hatte ihn nicht verschönert, und es wirkte, als sähe er Aileen die ganze Zeit flehend an.
Grünlich glimmende Ketten fixierten seine Hand- und Fußgelenke an den Bettpfosten. Eine vermummte Gestalt packte das Messer, und Aileen kniff die Lider zu. Vergeblich, der Schrecken verblieb sichtbar. Zum Glück blieben ihr Geräusche erspart, doch sie sah ihn schreien, das Antlitz verzerrt vor Schmerz. Immer wieder stach der Angreifer auf das Opfer ein, bis das Leuchten in den seltsamen Pupillen erstarb. Was dann folgte, war schlimmer als das Morden. Der Killer weidete ihn aus. Die Knochen, die zum Vorschein kamen, schimmerten blau und sahen auf eine grauenvolle Weise schön aus, da sie wie Saphire funkelten. Sie waren auch das, worauf es der Totschläger abgesehen hatte. Achtlos warf er die Organe zur Seite, legte das Skelett frei, durchtrennte es mit einer Säge und deponierte die Stücke in einem mit Samt ausgelegten Koffer. Und die ganze Zeit erinnerte der Mörder sie an jemanden, doch sie wusste nicht an wen. Wie der Name eines Schauspielers, den man kannte, der einem aber beim besten Willen nicht einfallen wollte, obwohl die Erinnerung auf der Zunge lag.
Die unsichtbaren eisernen Schellen, die ihren Körper lähmten, lösten sich abrupt und mit ihm das Grauen. Aileen sank auf die Seite und riss die Lider auf. Sie blickte direkt in Togos Augen, der über ihr stand und ihr quer durchs Gesicht schleckte.
Hatte sie gerade wirklich gesehen, wie ein Mann, der kein Mensch war, ausgeweidet wurde? Wegen seiner Knochen?
Und sein Gebiss!
Er hatte Reißzähne besessen. Vielleicht sollte sie nicht mehr so viele Vampirserien und Fantasybücher verschlingen, wenn sie davon halluzinierte. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie, dass der Vorfall nicht ihrer Fantasie entsprungen war. Sie war Zeugin eines unglaublichen Verbrechens geworden.
Aileen umklammerte Togo, um auf die Knie zu kommen. Der Hund rührte sich nicht, spürte offensichtlich, dass sie ihn brauchte. Keuchend stand sie auf den Füßen. Nicht eine Sekunde länger hielt sie es in dem Haus aus. Sie rannte die Treppe hinunter, stolperte fast in ihrer Hast, drängte die Übelkeit zurück, bis sie die Haustür erreichte. Sie schaffte es bis zu dem Beet mit den Blumen und erbrach mitten auf die bunte Pracht. Togo starrte sie mit einem mitleidigen Ausdruck an, und der arme Kerl zitterte am ganzen Körper.
Wenn das Fortbestehen von Magic Cleaning nicht von diesem Auftrag abhängen würde, hätte sie die Schlüssel sofort der Maklerin gebracht, den Vertrag zerrissen und nie wieder auch nur einen Gedanken an den Vorfall verschwendet. Doch sie konnte nicht.
Die Bank gewährte ihr einen einmonatigen Aufschub. Rachel Miller gab ihr die Chance, den Forderungen des Kreditinstituts nachzukommen, sonst würde sie das Cottage verlieren und die verbliebenen Schulden würden sie langsam erdrücken.
„Togo, wir müssen noch mal in das Haus.“ Ihre Stimme klang in den eigenen Ohren fremd.
Togo sah sie an, als ob er sie für verrückt hielte dennoch blieb er tapfer an ihrer Seite, den ganzen Weg, der ihr diesmal bedeutend länger erschien.
Sie zwang sich, das Schlafzimmer erneut aufzusuchen, denn wenn sie es nicht tat, würde sie es nie wieder betreten können.
Das Pulver hatte funktioniert. Der Läufer erstrahlte fleckenlos. Sie fragte sich, ob das Zeug Nebenwirkungen besaß und die Magie die Vision ausgelöst hatte. Vielleicht sollte sie versuchen, die Blutspritzer mit herkömmlichen Methoden zu entfernen. Doch sie ahnte, dass sie es nicht schaffen würde. Das Blut hatte einen übernatürlichen Ursprung, und da war Meister Proper nicht hilfreich.
Wenn jemand wüsste, was in ihrem Gehirn vorging, würde sie den Rest ihrer Tage in einer psychiatrischen Klinik verbringen. Sie durfte niemanden davon erzählen. Niemals! Nicht einmal Brandy würde sie sich anvertrauen.
Als sie aus dem Schlafzimmer hinausging, beschloss sie, sich nur noch das Untergeschoss anzusehen. Für heute hatte sie genügend Abenteuer erlebt.
Gemeinsam mit Togo begutachtete sie die Räume und war froh, dass die Tür, die in den Keller führte, mit einem dicken Schloss versehen war. Niemand auf der Erde könnte sie dazu bewegen, ihn aufzusuchen. Das einzige Ungewöhnliche in den restlichen Zimmern waren die stählernen Rollos. Und alles war unglaublich schmutzig, als wenn der Bewohner monatelang nicht daheim gewesen wäre und in seiner Abwesenheit ein Rudel Wölfe durch das Haus
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