Mitternachtserwachen
zählen?“
Lior nahm einen langen Atemzug. „Ja. Ich kann mich kontrollieren.“
Nosferat erlaubte sich ein leichtes Lächeln. „Es ist nicht so unkompliziert, wie du denkst. Wir haben es hier nicht mit einer Marbhadair zu tun, der du einfach den Kopf abschlagen kannst.“ Das Funkeln in den Augen wurde stärker. „Du wirst es nicht wollen, sobald du ihr gegenüberstehst.“
Lior ersparte sich einen Kommentar. Wenn es nach ihm ging, war er auch nicht darauf aus, der wahnsinnigen Schlange sofort den Kopf abzuschlagen. Der Kopf würde erst folgen, nachdem er mit ihr fertig war.
Die Luft um Exodus war von einem absoluten Schwarz. Die Vampire der Dunkelheit absorbierten das Licht um sich herum und konnten jedes positive Gefühl aus ihrer Beute saugen, sofern sie es denn wollten, zusammen mit ihrem Blut. Aber genauso gut konnten sie dem Opfer reine Emotionen schenken. Allerdings taten sie das nur, wenn es ihnen etwas einbrachte. Doch auch die Vampire der Dunkelheit waren nicht einfach nur böse. Unter ihnen gab es genügend, die nicht nur darauf aus waren, Leid und Tod zu verursachen. Dessen ungeachtet war ihr Naturell … gewöhnungsbedürftig.
Exodus legte Lior den Arm um die Schultern, und seine Stärke kroch kribbelnd über Liors Haut. „Wir stehen das gemeinsam durch. Wir dürfen es nicht riskieren, dass die Marbhadair Macht erlangen. Das könnte das Ende aller Spezies sein, die auf der Erde existieren.“
„Wir müssen sofort los. Ich kläre euch auf dem Weg auf. Es hat begonnen mit einem kleinen Tropfen, der sich zu einem Tsunami entwickeln könnte. Ich weiß nicht, wer dahintersteckt, aber derjenige hat sich ein Opfer gesucht, das bisher unschuldig war, hat Kräfte in Aileen McBride geweckt, von denen die Hexe bis jetzt keine Ahnung hatte“, sagte Nosferat.
Wenn Lior es nicht besser wüsste, könnte er glauben, dass sich Nosferat begeistert auf die neue Bedrohung stürzte, ein geheimes Ziel verfolgte, dessen Bestimmung nur er kannte. Wie immer!
Wieder einmal fühlte er sich wie eine Figur in einem Brettspiel, die hin- und hergeschoben wurde. Lior konnte nur hoffen, dass er nicht von der Tischplatte gefegt wurde und sich dabei das Genick brach.
Manchmal juckte es ihn in den Fingern, die Geheimnisse aus ihrem Obersten zu würgen. Kendricks Ausdruck zufolge dachte er im Moment das Gleiche und sie tauschten einen vielsagenden Blick aus.
Nosferat hob die Augenbrauen, doch das schmale Gesicht verriet nichts. Morven hatte Lior anvertraut, dass sie jedes Mal an Christoper Lee in seiner Rolle als Dracula dachte, wenn sie Nosferat ansah. In diesem Augenblick gab Lior ihr recht.
Roger holte alles aus dem Speedboat heraus, und es hüpfte auf der Oberfläche des Wassers, sodass Lior erneute Übelkeit verspürte.
Ob die Morde an den Vampiren etwas mit dem Auftauchen einer Marbhadair zu tun hatten? Lior würde seinen Arsch darauf verwetten.
Kapitel 4
Aileen hielt auf dem kleinen Parkplatz in Kinghorn in der Nähe der Kinghorn Parish Church of Scotland an, die auch stolz den Titel The Kirk by The Sea trug. Sie spielte mit dem Gedanken hineinzugehen. Aileen hatte heute Böses gesehen und fühlte sich beschmutzt. Vielleicht würde sie im Inneren eine Antwort auf ihre Erlebnisse finden. Aileen mochte die friedliche Atmosphäre und wäre sogar bereit, den Priester anzusprechen. Was sollte sie ihm erzählen? Er würde sie für verrückt halten, selbst wenn er zu höflich wäre, es ihr ins Gesicht zu sagen. Und er würde ihr wohl kaum ein Kreuz überlassen, sodass sie sich gegen Vampire zu schützen vermochte. Außerdem war nicht der Blutsauger das Böse gewesen, sondern etwas Schlimmeres. Aber dennoch …
Sie schlug den Weg zur Kirche ein, stoppte jedoch unentschlossen. Sie müsste Togo draußen allein anbinden oder zurück zum Auto bringen, weil Hunde im Inneren nicht erlaubt waren. Ihre Haut prickelte bei der Erinnerung an die Vision. Der Vampir war chancenlos gewesen. Wer immer ihn auch ausgeweidet hatte, war mächtiger als eine Kreatur der Nacht. Und wie er sie angesehen hatte! Als wäre es gerade in dem Moment geschehen und sie hätte ihm helfen können. Wenn sie nur den Angreifer besser hätte erkennen können, doch sein Gesicht war die gesamte Zeit verborgen gewesen, wie hinter einem Schleier. Sie starrte auf die blauen Türen der Kirche. In den Steinen oberhalb war 1894 eingraviert. Dann schüttelte sie über sich selbst den Kopf. Dort würde sie keine Hilfe finden, und sie war noch niemals der Kirche
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