Mitternachtserwachen
Glieder weigerten sich, zu gehorchen. Sie drehte sich um und lief auf die Tür zu. Togo klebte an ihrer Seite, und seine Krallen klickten auf dem Parkett der Galerie. Das Holz hatte einen dunklen Ton mit einem leichten Rotstich. Was für ein wunderschönes weiß gestrichenes Geländer, bestehend aus unzähligen geschnitzten Rosen, die allerdings von Staub bedeckt waren. Überhaupt war alles staubig, als hätte hier niemand in den letzten Jahren gelebt. Beherzt öffnete sie die Tür und seufzte erleichtert auf. Jemand hatte den größten Teil der Blutlache beseitigt, und es sah lange nicht so erschreckend aus, wie sie gedacht hatte. Dennoch schlimm genug, denn die Blutspritzer waren überall.
Oh Gott!
Sie konnte nur hoffen, dass ihr magisches Pulver mit den Flecken fertig wurde. Das Opfer musste versucht haben zu entkommen. Die Spritzer hatten sich in das Parkett eingegraben, klebten an der Decke und bildeten ein schreckliches Muster an den Wänden. Schluss damit! Male dir nicht aus, was passiert ist.
Sie schlug die helle Tagesdecke des Pfostenbettes zurück. Das Bettzeug und die Matratze rochen neu und waren fleckenlos.
Dem Himmel sei Dank.
Eigentlich hatte sie sich heute nur einen Überblick von dem Objekt machen wollen. Ihre Finger hinterließen Schweißspuren auf der Briefhülle. Die Möglichkeit einer Hintertür war eine Illusion. Sie konnte nicht kneifen und sich aus der Misere winden.
Aileen fuhr mit dem Zeigefinger unter den Rand des zugeklebten Umschlages.
Autsch!
So was Blödes. Sie hatte sich in die Fingerkuppe geschnitten, und das Blut sickerte in das braune Papier. Hoffentlich hatte sie nicht den Vertrag versaut. Mit spitzen Fingern zog sie das Blatt heraus.
Mist! Rot schimmerte am Rand, und noch als sie hinsah, absorbierte das Papier die Flüssigkeit, bis es nicht mehr zu sehen war.
Das wurde immer eigenartiger.
Was war das für ein seltsames Material? Es fühlte sich warm an, samtig und vibrierend. Der Kontrakt war mit der Hand geschrieben worden, in einer kunstvoll geschnörkelten Schrift mit dunkelroter Tinte.
Aileen entwich ein Kichern bei der Vorstellung, dass die schöne Rachel den Vertrag auf Menschenhaut mit Bluttinte verfasst hatte.
Bereit für die Gummizelle?
Sie legte das Blatt auf die Fensterbank und kramte nach einem Kugelschreiber in ihrer Umhängetasche, die dringend eine Aufräumaktion brauchte.
Die Fensterscheiben starrten vor Schmutz, sodass sie von draußen nur schemenhafte Umrisse erkannte. Ihr war vorher nicht aufgefallen, dass die Bäume so groß waren. Tief holte sie Luft, setzte den Stift auf die Linie und unterschrieb in Blau. Wärme erfasste zunächst ihre Fingerspitzen, kroch nach oben, bis sie ihren ganzen Arm durchdrang und in einem ziehenden Gefühl endete.
Togo stupste sie mit der Nase an und winselte. Ob das Tier auch die fremdartigen Schwingungen wahrnahm?
Seufzend steckte sie das Papier zurück in den Umschlag und deponierte es in ihrer Tasche. Eigentlich war es ein Grund zu feiern. Es ging wieder aufwärts in ihrem Leben.
Sie würde sich heute Abend bei Luigi eine Peperonipizza bestellen, dazu Wein trinken und sich anschließend ein Eis gönnen. Togo und Dark Vader würden Knoblauchbrötchen bekommen. Beide verabscheuten Tierfutter, liebten Gemüse, Reis, Hühnchen und Luigis Brötchen.
Aileen beschloss, wenigstens das Zauberzeug an den Blutsprenkeln auszuprobieren, die den weißen Läufer verunzierten, der auf dem dunklen Parkett lag. Er war zwar gereinigt worden, doch es waren noch Überreste zu sehen, hatte die Maklerin ihr am Telefon erzählt. Auch, dass die Reinigungsfirma, die sie zuerst beauftragt hatte, an dem Blut gescheitert war.
Togo stupste sie an, sah sehnsüchtig zur Tür und zwickte sie in die Wade.
„Hey!“
Seine Ohren sanken herab und er zog den Kopf ein.
„Du hast ja recht, aber ich kann auf diesen Auftrag nicht verzichten. Gemeinsam schaffen wir das.“
Sie nahm den Behälter mit dem Pulver aus der Tasche, stäubte ein wenig davon auf den Teppich und pure Agonie jagte durch ihren Körper. Sie fiel auf die Knie, starrte in reinem Grauen auf das Bild, das sich vor ihren Augen abspielte. Aileen war unfähig auch nur den Finger zu krümmen, ihre Glieder gefangen in einer Lähmung.
Schleifspuren bedeckten den Boden. Der große Kerl mit der hellen Haut und den schulterlangen Haaren von dem Gemälde lag nackt auf dem Bett. In seinem Bauch steckte eine rötlich glühende Klinge. Er lebte noch. Seine Augen leuchteten in dem
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