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Mitternachtserwachen

Mitternachtserwachen

Titel: Mitternachtserwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Mignani
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zu bewahren. Doch die Waffe war noch immer in ihrer rechten Hand, als sie ihre Finger widerwillig von dem Handlauf löste.
    Die blauen Augen gehörten zu Togo. Von seiner Tollpatschigkeit war in diesem Moment keine Spur zu sehen. Punktgenau war er drei Stufen oberhalb von ihr gelandet. Winselnd presste er sich gegen sie, und die ihr vertrauten braunen Hundeaugen blickten sie an, ehe er ihr quer durchs Gesicht schleckte. Sie weinte beinahe vor Erleichterung, dass sie nicht mehr allein war, umfasste seinen Kopf und küsste ihn auf die Stelle über seiner Nase. Togo sah nach unten und stupste sie an.
    Unendlich viele Treppenstufen führten hinab, und erneut hörte sie die Stimme, die sie so furchtbar lockte, aber auch entsetzte. Togo sträubte sein Nackenfell und blieb dicht bei ihr, als sie in die Tiefe stiegen.
    Die Fackeln, die an den groben Wänden angebracht waren, flackerten. Wenn es Togo gelungen war, in das Haus zu kommen, würde es auch Lior gelingen. Wie gern hätte sie den Lugus jetzt neben sich gehabt. Gott, sie hätte sogar die Anwesenheit von Exodus begrüßt. Der Vampir der Dunkelheit wirkte freundlich im Vergleich zu der Atmosphäre, die sie anfiel wie ein tollwütiges Tier. Aileen atmete langsam, um ihren Herzschlag zu beruhigen. Sie sah sich bereits hysterisch kreischend durch den Keller rennen, direkt in den sicheren Tod. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte sie den Fuß der Treppe. Sollte sie hier warten, hoffen, dass es Lior schaffen würde, zu ihr zu kommen?
    Sie standen in einem Gewölbe, von dem mehrere Gänge abzweigten. Auf den Wänden entdeckte sie steinerne Gesichter, Fratzen, die im immerwährenden Leid mit offenen Mündern ihre Qual stumm in die Dunkelheit brüllten. Die Fertigkeiten des Künstlers jagten ihr eine weitere Gänsehaut über die Wirbelsäule. Sie erinnerten Aileen an die Wolfsstatuen, die keine gewesen waren. Was, wenn auch diese im Stein eingebetteten Skulpturen lebendig waren? Sie sich aus den Felsen lösten, um sie anzufallen?
    Sie fuhr herum. Etwas huschte außerhalb ihres Sichtfeldes durch einen der Gänge, verführte sie, näher zu treten.
    „Aileeeeeeeeen!“
    Langsam ging ihr das Spielchen auf die Nerven. Beherzt durchquerte sie den Raum und trat in den zwei Meter breiten Tunnel. Sie vermochte nicht zu erkennen, wie lang er war, doch er schien endlos zu sein. Zum Glück war er nicht niedrig. Sogar Lior könnte hier aufrecht stehen. Togo blieb dicht bei ihr, sein Kopf streifte gegen ihr Bein.
    Die Sohlen ihre Schuhe hörten sich überlaut in der Stille an. Ihr eigenes Atmen schallte in ihren Ohren, und Togo erinnerte an eine Dampflok, die sich einen steilen Berg hochquälte. Und musste er derart mit seinen Krallen auf dem Boden klicken?
    Wozu leise sein? Was immer dich in den Keller gelockt hat, weiß, dass du da bist, es erwartet dich und will mit dir zu Mittag essen, bei dem du den Hauptgang darstellst.
    Der Schemen blieb in Sichtweite und bog nach endlosen Metern rechts ab. Was, wenn sie sich verlief? Togo würde bestimmt den Weg zurückfinden, beruhigte sie sich. Wenigstens brauchte sie keine Angst zu haben, dass der Strom ausfiel und das Licht ausging. Doch die Abstände zwischen den Fackeln wurden größer, sodass weite Abschnitte im Dunklen lagen. Togo warf einen unheimlichen Schatten auf die Wände, und auch sie selbst wirkte grotesk, wie ein verzerrtes Abbild ihres Körpers.
    Die Temperatur sank beträchtlich, und es wurde zunehmend feuchter. Das Ausmaß des labyrinthartigen Gewölbes sprengte ihre Vorstellungskraft. Längst müssten sie das Grundstück von Silent Rose verlassen haben. Aileen verlor vollständig die Orientierung, wusste nicht, in welche Richtung sie liefen. Norden? Süden?
    Vor ihr tauchte eine große Öffnung auf, wie der Eingang zu einer Höhle. Als sie näher geschritten war, blieb sie atemlos stehen, da der Anblick überwältigend war. Stalagmiten zierten den Boden, und Stalaktiten hingen von der kuppelförmigen Decke. Sie versuchte, den hinteren Bereich zu erkennen und drang weiter in die Felsengrotte vor. Zuerst traf sie der Gestank, dann erfasste sie die Leichen, die roten und blauen Knochen, die so wunderschön aussahen, fein säuberlich aufgestapelt an der rückwärtigen Wand. Von dem Schatten, der sie hierher geführt hatte, war nichts mehr zu sehen. Aber er könnte sich überall verstecken.
    Aileen lauschte aufmerksam, weil sie glaubte, etwas zu hören. Togo spitzte die Ohren und sah in die Richtung, aus der das vermeintliche

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