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Mitternachtsfalken: Roman

Titel: Mitternachtsfalken: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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weiteten sich vor Entsetzen.
    »Ich war dabei, wie Ihr Sohn sich die Pistole an die Kehle setzte und abdrückte«, fuhr er fort.
    »Peter, nein!«, sagte Tilde.
    Er achtete nicht auf sie. »Ich habe gesehen, wie sein Blut und sein Gehirn an die Wand hinter ihm gespritzt sind.«
    Frau Olufsen schrie auf vor Grauen und Pein.
    Gleich klappt sie zusammen, dachte Peter mit Befriedigung und rieb weiter Salz in die Wunde. »Ihr ältester Sohn war ein Spion und Verbrecher und hat ein gewaltsames Ende gefunden. Wer durch das Schwert lebt, der soll durch das Schwert umkommen, so heißt es in der Bibel. Wollen Sie, dass mit Ihrem zweiten Sohn das Gleiche passiert?«
    »Nein«, flüsterte sie. »Nein.«
    »Dann sagen Sie mir, wo er ist!«
    Die Küchentür flog auf, und der Pastor stürmte herein. »Du Lump«, sagte er.
    Peter richtete sich auf, erschrocken, aber zum Widerspruch bereit. »Ich bin berechtigt, Fragen zu.«
    »Verlass mein Haus!«
    »Komm, Peter, wir gehen«, sagte Tilde.
    »Ich will aber erst noch wissen, wo.«
    »Sofort!«, brüllte der Pastor. »Raus mit euch!« Er ging auf den Tisch zu.
    Peter wich zurück. Er wusste, dass er sich von dem Pastor nicht niederbrüllen lassen sollte. Er war hier in legitimer Ausübung seines Berufs als Polizist und hatte das Recht, Fragen zu stellen. Doch trotz der Pistole unter seinem Jackett fühlte er sich von der dominierenden Erscheinung des Pfarrers so eingeschüchtert, dass er unwillkürlich den Rückzug antrat.
    Tilde ging zur Tür hinaus.
    »Wir sind noch nicht fertig miteinander«, sagte Peter kraftlos, während er rückwärts das Haus verließ.
    Der Pastor knallte die Tür mit solcher Wucht zu, dass Peter den Luftdruck im Gesicht spürte.
    Peter drehte sich um. »Verfluchte Heuchler«, sagte er, »alle beide.«
    Der Einspänner wartete auf sie. »Zum Haus meines Vaters«, befahl Peter, und sie stiegen ein.
    Kaum waren sie losgefahren, versuchte Peter, die demütigende Szene aus seinem Kopf zu vertreiben und sich auf seine nächsten Schritte zu konzentrieren. »Harald muss irgendwo Unterschlupf gefunden haben«, sagte er.
    »Bestimmt«, sagte Tilde kurz angebunden. Offenbar hatte sie die Szene, deren Zeugin sie eben gewesen war, schwer mitgenommen.
    »Er ist weder im Internat noch zu Hause, und außer ein paar Vettern und Kusinen in Hamburg hat er keine Verwandten.«
    »Wir könnten einen Steckbrief von ihm veröffentlichen.«
    »Dazu müssten wir erst ein Foto haben. Der Pastor lehnt Bilder ab
sie sind für ihn ein Ausdruck von Eitelkeit. Oder hast du irgendwelche Fotografien in seiner Küche gesehen?«
    »Gibt es vielleicht ein Klassenfoto?«
    »Das ist in Jansborg nicht üblich. Das einzige Bild, das wir von Arne finden konnten, stammte aus seiner Personalakte beim Militär. Ich glaube nicht, dass wir irgendwo eine Aufnahme von Harald auftreiben.«
    »Was können wir sonst tun?«
    »Ich denke, er ist bei Freunden untergekommen – du auch?«
    »Klingt plausibel.«
    Tilde vermied es immer noch, ihn anzusehen. Peter seufzte. Sie war ihm nach wie vor böse. Und wenn schon.
    »Kümmer dich drum!«, sagte er schroff. »Ruf im Politigaarden an. Schick Conrad zum Internat nach Jansborg. Beschafft euch eine Liste mit den Heimatadressen sämtlicher Schüler aus Haralds Klasse. Und dann schickt ein paar unserer Leute los, die an jeder Adresse ein paar Fragen stellen und ein bisschen herumschnüffeln.«
    »Die wohnen doch über ganz Dänemark verteilt. Das dauert einen Monat, bis wir alle aufgesucht haben. Wie viel Zeit bleibt uns noch?«
    »Sehr wenig. Ich weiß nicht, wie lange Harald braucht, bis er weiß, wie er den Film nach London bringen kann. Auf jeden Fall ist er ein raffinierter Kerl. Lass dir von den Kollegen vor Ort helfen, wenn‘s nötig ist.«
    »Ja, gut.«
    »Er kann natürlich auch bei einem anderen Mitglied des Spionagerings untergeschlüpft sein. Wir warten hier noch die Beerdigung ab und schauen mal, wer sich da blicken lässt. Jeder Trauergast wird überprüft. Einer von ihnen muss wissen, wo sich Harald aufhält.«
    Die Kutsche verlangsamte ihre Fahrt und hielt kurz darauf vor Axel Flemmings Haus. Tilde sagte: »Macht es dir was aus, wenn ich ins Hotel zurückfahre?«
    Seine Eltern erwarteten sie beide zum Mittagessen, doch Peter merkte, dass Tilde nicht in der Stimmung dazu war. »Na gut.« Er tippte dem Kutscher auf die Schulter. »Zurück zur Fähre!«
    Eine Weile lang sagte keiner von beiden ein Wort. Als der Anleger in Sicht kam, fragte Peter: »Was

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