Mitternachtsfalken: Roman
Augen!«
»Sie können niemanden aus der Kirche werfen – die gehört Ihnen nicht.«
»Wenn du beten willst, dann bist du willkommen. Ansonsten verschwinde jetzt!«
Peter zögerte. Er wusste, er hatte verloren, wollte sich aber nicht einfach vor die Tür setzen lassen. Schließlich nahm er Tilde am Arm und führte sie aus der Kirche.
»Ich hab dir ja gesagt, was für ein harter Knochen er ist«, erklärte
er.
Tilde wirkte erschüttert. »Ich glaube, er leidet fürchterlich.«
»Das ist sicher richtig. Aber hat er auch die Wahrheit gesagt?«
»Offenkundig. Harald ist abgetaucht – und das heißt, dass er höchstwahrscheinlich im Besitz des Films ist.«
»Also müssen wir ihn unbedingt finden.« Peter ließ sich das Gespräch mit dem Pfarrer noch einmal durch den Kopf gehen. »Ich frage mich, ob der Pastor Haralds Aufenthaltsort wirklich nicht kennt.«
»Hast du ihn schon mal bei einer Lüge ertappt?«
»Nein, aber um seinen Sohn zu schützen, macht er vielleicht eine Ausnahme.«
Tilde reagierte mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Egal wie – aus dem bringen wir garantiert nichts mehr heraus.«
»Stimmt. Aber wir sind auf der richtigen Spur, das ist die Hauptsache. Probieren wir‘s mal bei der Mutter, die besteht zumindest aus Fleisch und Blut.«
Sie gingen zum Pfarrhaus. Peter dirigierte Tilde zur Rückseite, klopfte an die Küchentür und trat, wie es auf der Insel üblich war, ein, ohne auf eine Antwort zu warten.
Lisbeth Olufsen saß untätig am Küchentisch. Nie zuvor in seinem Leben hatte Peter Flemming die Pfarrersfrau so erlebt: Normalerweise war sie immer beim Kochen oder Putzen. Sogar in der Kirche machte sie sich nützlich: Sie stellte die Stühle in Reih und Glied, verteilte die Gesangbücher oder sammelte sie ein und heizte den Torfofen, der im Winter den großen Raum erwärmte. Aber jetzt saß sie nur da und blickte auf ihre Hände. Die Haut war schrundig und rau wie die eines Fischers.
»Frau Olufsen?«
Sie wandte ihm ihr Gesicht zu. Ihre Augen waren rot geweint, die Wangen schlaff. Sie erkannte ihn nicht sofort. »Guten Tag, Peter«, sagte sie dann ohne Gemütsbewegung.
Er entschloss sich zu einer sanfteren Strategie. »Das mit Arne tut mir Leid.«
Sie nickte kaum merklich.
»Das ist meine Kollegin Tilde Jespersen. Wir arbeiten zusammen.«
»Guten Tag, Frau Jespersen.«
Er setzte sich an den Tisch und nickte Tilde zu, ebenfalls Platz zu nehmen. Vielleicht würde eine einfache, sachliche Frage Frau Olufsen aus ihrer Benommenheit reißen. »Wann ist die Beerdigung?«
Sie dachte kurz nach und antwortete: »Morgen.«
Jetzt ging es schon leichter.
»Ich habe mit dem Pastor gesprochen«, sagte Peter. »Wir haben ihn in der Kirche getroffen.«
»Sein Herz ist gebrochen, aber er will es nach außen hin nicht zugeben.«
»Das kann ich verstehen. Auch Harald muss es furchtbar getroffen haben.«
Sie sah auf und starrte dann wieder ihre Hände an. Es war nur ein ganz kurzer Blick, doch Peter erkannte darin Angst und Hinterlist. »Wir haben mit Harald noch nicht gesprochen«, murmelte sie.
»Warum?«
»Weil wir nicht wissen, wo er ist.«
Peter konnte nicht sagen, ob sie von Augenblick zu Augenblick log, war sich aber sicher, dass sie ihn hinters Licht führen wollte. Es ärgerte ihn, dass der Pastor und seine Frau, die immer so taten, als wären sie allen anderen moralisch weit überlegen, der Polizei bewusst die Wahrheit verschwiegen.
Er hob die Stimme. »Sie wären gut beraten, mit uns zusammenzuarbeiten!«
Besänftigend legte ihm Tilde die Hand auf den Arm und sah ihn fragend an. Er nickte ihr zu und bedeutete ihr damit, die Befragung fortzuführen.
»Frau Olufsen«, sagte sie, »so Leid es mir tut, aber ich muss Ihnen sagen, dass Harald möglicherweise in die gleichen illegalen Aktivitäten verstrickt ist wie Arne.«
Frau Olufsen sah sie erschrocken an.
»Und je länger er so weitermacht«, fuhr Tilde fort, »desto schlimmer wird es für ihn, wenn wir ihn erst einmal haben.«
Die alte Frau schüttelte langsam den Kopf. Sie sah verzweifelt aus, sagte aber kein Wort.
»Helfen Sie uns, ihn zu finden. Das ist das Beste, was Sie für ihn tun können.«
»Ich weiß nicht, wo er ist«, wiederholte Frau Olufsen, wenn auch mit weniger Überzeugung als zuvor, Peter spürte, dass sie schwach wurde. Er stand auf, beugte sich über den Küchentisch, brachte sein Gesicht ganz nahe an das ihre. »Ich habe Arne sterben sehen«, sagte er mit rauer Stimme.
Frau Olufsens Augen
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