Mitternachtsflut
wie viele Jährchen hattest du denn dabei so ungefähr gedacht?“ „Na, sagen wir so grob, knappe hundert!“
Ehe sie etwas erwidern konnte, hatte Manolo sie in seinen Armen gefangen und sie beeilte sich mit ihm Schritt halten zu können, als er hoch zu seinem uralten Jeep, der direkt neben ihrem Käfer stand, lief. Für einen der so alt war, wie er behauptete, war er verflixt gut in Schuss, Manolo, ebenso wie der Jeep. Sie schlugen den Weg zu dem ehemals als Hauptstadt geltenden Städtchen Garachico ein. Kurz bevor sie die Stadt erreichten, bog er in Richtung Meer ab. Nachdem sie eine ganze Weile nur über holprige Pisten gefahren waren, landeten sie an einem versteckten kleinen Strand. Hier war das Meer vergleichsweise ruhig und der Strand fiel angenehm flach ab.
Das Wasser glänzte in tiefem Türkis und war fast ganz glatt, nur kleine, flache Wellen rollten gemächlich an den schwarzen Lavastrand. Etwas weiter hinten stand eine kleine Hütte, bei der die einzigen Menschen hier zu sehen waren und zwei Fischerboote dümpelten nahe am Ufer gemütlich vor sich hin „Himmel ist das hier schön. So ein Mist, dass ich keinen Badeanzug dabei habe.“
Marie blickte sehnsüchtig auf das einladende Wasser. Manolo stellte den Motor ab und beugte sich zum Rücksitz. Als er wieder nach vorne kam, hielt er ihr ein riesiges Badetuch und ein knappes, goldfarbenes Bikinihöschen samt adäquatem Oberteil entgegen. Sein Lächeln war höchst unschuldig. „Ich habe mir schon gedacht, dass du es hier nicht aushältst ohne ins Wasser zu gehen. Bitte sehr, bedien dich. Ich halte auch das Handtuch!“ „Manolo!!“
„Was? Entschuldige bitte, ich bin ein alter Mann, wo ist denn dein Problem?“ Marie sah zu ihm hoch, sah in das noch immer makellos schöne Gesicht, dem das Alter eher noch mehr an Würde und Ausstrahlung verliehen hatte, sah diese blitzenden blauen Augen und ließ ihre Blicke dann über den unverschämt muskulösen Körper gleiten. „Armer, armer alter Mann!“
„Ja, schon. Und jetzt mach hin, jetzt ist hier die beste Zeit zum Schwimmen. Los jetzt, ich schau dir nichts weg.“ Zwischen Manolo und ihr herrschte eine solch tiefe Vertrautheit, dass solche Neckereien an der Tagesordnung waren aber ohne irgend einen Hintergrund. Sie hätte ihm alles anvertraut – ihr Leben eingeschlossen. Also hielt Manolo mit unergründlichem Lächeln das Badetuch vor sie, während sie aus ihrem Kleidchen schlüpfte und sich in den knappen Bikini zwängte. Als er das Tuch sinken ließ pfiff er anerkennend. „Ich habe gut gewählt!“ „Ja, aber das ist wohl eine Sache des Standpunktes, lieber Manolo.“
Marie zupfte verzweifelt an dem goldenen Nichts herum, um alles zu verdecken, was es zu verdecken galt. „Das mag so sein. Gönn doch meinen armen alten Augen auch ein wenig Freude!“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, schlüpfte Manolo aus seinem ausgewaschenen Jeanshemd, legte seine silbernen Halsketten ab und zog seine geliebte, verschlissene Jeans aus. „Ach nein, aber selbst eine vernünftige Badehose anhaben, ja?“ Marie legte ihre Stirn in anklagende Falten, aber es wollte nicht wirken. Es kam nur ein lässiges: „Ja, dem Alter angemessen.“ Er griff nach einem Haarband, das er um den Arm trug, band sich seine langen, weißen Haare zusammen und ehe sie sich versah, lief er ans Ufer und stürzte sich in die kühlen Fluten. Sie genossen das Bad im kristallklaren, einladenden Atlantik so lange sie konnten. Die Sonne stand schon ziemlich tief, als sie sich zum Trockenen auf den warmen, schwarzen Sand legten.
Manolo fragte sie über ihre Kindheit aus und sie erzählte es ihm gerne, seine Erzählungen waren eher dürftig, da er nicht genau wusste wo er anfangen sollte, um vor dem Einbruch der Nacht fertig zu sein, wie er meinte.
Irgendwann begann Maries Magen zu knurren , dass es eine Wonne war.
„Du hast Hunger, das passt, ich nämlich auch.“ „Och, schade, wollen wir wirklich schon wieder nach Hause fahren?“ Marie gefiel es an diesem Strand ausnehmend gut. „Wer hat denn etwas von nach Hause fahren gesagt? Komm, zieh dich an. Wir gehen essen.“ „Essen? So wie ich aussehe, total verwuschelte Haare und salzig?“ „Genau so wie du aussiehst, du bist wunderschön. Haben dir das nicht ein paar andere auch schon gesagt?“ Marie lächelte leicht verlegen. „Ja, so der eine oder andere schon. Aber da sehe ich ja meist nicht aus wie ein Salzhering.“
Manolo verdrehte nur die Augen und begann sich anzuziehen.
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