Mitternachtskinder

haben nach Ihnen gesucht. Haben Sie Dee schon gefunden?«, entgegnete ich.
    »Nein.«
    Nuala wies auf die Tänzer. »Geht hier etwas nicht mit rechten Dingen zu?«
    »Richtig«, sagte Sullivan. »Ihr braucht nur zu wissen, dass die Schule im Moment besetztes Gebiet ist, und das wird im Laufe der Nacht nur noch schlimmer werden.«
    »Und Dee?«, beharrte ich. »Was, wenn ihr heute Nacht etwas zustößt? Wenn etwas Schreckliches passiert?«
    Sullivan ließ den Blick über die tanzenden Leiber schweifen. »Dee ist irgendwo bei
ihnen
. Wir suchen immer noch nach ihr. Wenn du ihr helfen willst, halte dich heute Nacht aus allem Ärger heraus, damit sie die einzige Schülerin bleibt, um die wir uns kümmern müssen.«
    Er sah Nuala an. »Die Lehrer entzünden auf dem ganzen Schulgelände große Feuer. Um die Toten fernzuhalten. Wo auch immer du dich aufhältst – wenn du so weit bist, wird ein Feuer in der Nähe sein.«
    Nuala zuckte nicht mit der Wimper. »Danke.«
    »Und, James?« Sullivan starrte an uns vorbei. Als er sich umdrehte, bemerkte ich, dass er einen langen schwarzen Umhang trug, der hinter ihm herflatterte. Ganz kurz dachte ich an Cernunnos und sein langes schwarzes Gewand, dann kehrte ich in die Gegenwart zurück. Sullivan setzte hinzu: »Sucht nach Paul. Er ist klüger, als er aussieht.«
     
    Das große Herbstfeuer hinter der Seward Hall wurde entfacht. Erst stank es nach Benzin, Leute riefen durcheinander, und dann schlugen Flammen in den Himmel. Schüler – zumindest nahm ich an, dass es sich um Schüler handelte – sprangen als schwarze Silhouetten vor dem weißglühenden Kern des Feuers herum.
    Ich sah Nuala an und wartete darauf, dass sie – ich weiß auch nicht –
schrie
oder so, aber sie zog nur ein seltsames Gesicht. Rümpfte die Nase. Ich an ihrer Stelle wäre inzwischen ausgeflippt, doch sie wirkte nur leicht verwundert. Als sei sie nicht ganz einverstanden mit der Methode, mit der hier Herbstfeuer angezündet wurden, und nicht im Begriff, sich freiwillig in eines hineinzustürzen.
    Ich erschauerte, obwohl mir nicht kalt war. Das Feuer war so groß, dass ich die Hitze bis hierher spüren konnte.
    »Nervös?«, fragte Nuala ironisch.
    »Ich wünschte nur, dein Name wäre kürzer«, entgegnete ich. »Den siebenmal hintereinander zu sagen wird meinem Mund einiges abverlangen.«
    »Dann solltest du den Mund halten und dir deine Kraft aufsparen.« Dennoch griff sie nach meiner Hand, während sie den Hals reckte und den Blick schweifen ließ. »Bilde ich mir das ein, oder sind hier noch mehr Leute als vorher?«
    Stirnrunzelnd betrachtete ich die Menge auf dem Weg. Die jetzt nicht mehr nur den Fußweg einnahm – es waren Leute auf dem Parkplatz, auf dem Platz vor dem Gebäude und um den Springbrunnen. Sie tanzten auch plötzlich besser. Wovon hatte Sullivan vorhin gesprochen? Von einer Invasion? Obwohl ich mich nicht an den Wortlaut erinnern konnte, fühlte sich »Invasion« treffend an. Ich zeigte Nuala die Gänsehaut an meinen Armen und zog die Ärmel meines Sweatshirts wieder herunter. Mein Körper warnte mich vor den Feen um uns herum.
    »Und das sind nur die, die
ich
sehen kann«, sagte ich. »Wir müssen Paul finden.« Ich wollte sie fragen, wann sie sich verbrennen musste, aber sie sollte nicht den Eindruck bekommen, dass ich sie dazu drängen wollte. Und irgendwie wollte ich es auch so lange wie möglich hinausschieben. Es war mir gleich, was für eine Art Fee sie war – sich bei lebendigem Leib zu verbrennen klang riskant. Vor allem, wenn man sich mittendrin dafür entscheiden wollte, ein Mensch zu werden. Feenhaut, die sich in Menschenhaut verwandelte und mit einem Mal jedes bisschen dieser sengenden Hitze spürte, die sie vom Körper schälte …
    Ich glaubte, mich gleich übergeben zu müssen.
    Die Kotzerei blieb mir nur erspart, weil ich Paul entdeckte, der auf uns zukam.
    »Mann«, meinte er. »Die reinste Hölle …«
    Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Dieser Satz trifft im Augenblick auf so viele Dinge zu, dass ich nicht sicher bin, auf was genau du dich beziehst.«
    »Wovon versuchen
sie
uns abzulenken?«, fragte Paul. »Hallo, Nuala. Bist du in die konspirativen Vorgänge heute Nacht eingeweiht? Das Wort habe ich von James gelernt – gefällt es dir?
Konspirativ.
«
    »Ganz toll«, antwortete Nuala. »Ich weiß, dass zwischen
ihnen
und den Toten irgendetwas läuft, das sie miteinander verbinden soll. Vielleicht so etwas wie ein Ritual. Wir dachten, du wüsstest mehr