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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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darüber.«
    Ich beobachtete, wie jemand einen Stuhl in die Flammen schleuderte. »Oje, das kann nicht gut sein. Also, Paul, was weißt du über heute Nacht?«
    Paul zeigte auf die Flammen. »Mann, der Kerl da hat gerade einen Couchtisch ins Feuer geworfen. Heilige Scheiße! Ich glaube, der war aus unserer Lobby!« Er schüttelte den Kopf und schob die Brille auf seiner Nase hoch. »Ich weiß nur eines: Wenn wir heute Nacht Cernunnos singen hören …« Er sprach den Namen sehr sorgfältig aus, Cer-
nunn
-os, wie ein fremdartiges Gewürz in einem Kochrezept. »… wird es übel. Dann kommen alle Toten heraus. Na ja, die Toten, über die er herrscht.«
    »Diejenigen, die weder im Himmel noch in der Hölle sind. Ja, das wissen wir aus seinem Lied«, bemerkte Nuala. Sie blickte sich um, als ein Grüppchen Schüler an uns vorbeidrängte, doch niemand beachtete uns.
    Paul kratzte sich am Kopf. »Tja, ich habe festgestellt, dass diese neuerdings wandelnden Toten etwas … Wie hast du das letztens ausgedrückt, James? Als wir über Red Bull und Doritos gesprochen haben?«
    »Knabberanfall.«
    »Ja, das meine ich. Knabberanfall. Die Toten werden einen Knabberanfall haben. Aaalso – ich schätze, sie zünden so viele Feuer an, um die Toten abzuhalten. Solange wir im Schein eines Feuers bleiben, sind wir sicher. Wenn nicht, sind wir ein Snack.«
    »Seelensnack, klingt toll«, bemerkte ich. »Da gründet ein Haufen wohlmeinender Erwachsener eine Schule, um Jugendliche mit übernatürlicher Wahrnehmung zu schützen, und baut sie direkt auf dem Weg, den die wandelnden Toten nehmen. Brillanter Plan. Ich verstehe ja durchaus, dass sie diejenigen von uns, die ihn hören, als größeres Sicherheitsrisiko einstufen. Aber jetzt mal im Ernst: in der Nähe der
Toten?
«
    »Ich weiß, Mann, im Ernst«, sagte Paul. »Aber wisst ihr, ich glaube, früher hatten die Feen … ups, ich meine, hatten
sie …
«, verbesserte er sich hastig, als ein paar Umstehende zu uns herüberschauten. »… hatten
sie
Angst vor den Toten. Deshalb war diese Stelle wohl damals, ihr wisst schon, in den Siebzigern, ein Schutz gegen
sie

    Wieder hallten laute Rufe über den Campus, und ein weiteres großes Feuer wurde entzündet. Nuala kniff die Augen zusammen.
    »Hier spricht Patrick Sullivan, einer eurer freundlichen Lehrer und Betreuer!« Sullivan hatte sich ein Mikrophon geschnappt und benutzte die riesigen Lautsprecher für eine Durchsage. »Ich muss die Musik kurz unterbrechen, um euch alle dringend zu raten, heute Nacht auf dem Schulgelände zu bleiben! Halloween ist kein günstiger Zeitpunkt, um sich zum Knutschen in die Hügel zurückzuziehen, Jungs und Mädels! Denkt an die ganzen Horrorfilme: Dem knutschenden Pärchen stößt
immer
etwas Grauenhaftes zu! Bleibt in der Nähe der Feuer. Ich wünsche euch einen schönen Abend!«
    Paul und ich wechselten einen Blick.
    »Mann, ich wüsste wirklich gern«, meinte Paul nachdenklich, »was
sie
zu verbergen versuchen. Du nicht? Sämtliche Lehrer und die Schüler, die auch nur einen Hauch von Ahnung haben, rennen herum und sorgen dafür, dass keiner von uns vom Tanz weggelockt wird.
Sie
sorgen dafür, dass wir vollauf damit beschäftigt sind.«
    »Das hat irgendetwas mit dem Ritual zu tun«, beharrte Nuala. »Damit, dass
sie
die Toten an sich binden wollen.«
    »Aber wir können schlecht zu einem Haufen toter Geister mit einem Mordshunger hingehen und sie fragen, was hier läuft«, warf ich ein. Es drehte mir den Magen um bei der Vorstellung, wie Nuala brennen würde, beim Gedanken an Dee bei den Feen, bei einer Vorahnung von schmerzlichem Verlust.
    Und dann hörte ich die ersten Klänge von Cernunnos’ Lied.
    Paul verzog das Gesicht. »Er kommt.«
    Und er war nicht allein.

[home]
    Nuala
    Wenn das Ende kommt, hungrig und dunkel
    Werde ich allein sein, Liebste.
    Wenn das Ende kommt, schwarz und sterbend
    Sag ich Lebewohl, Liebste.
    Aus Die Goldene Zunge:
Gedichte von Steven Slaughter
    E rst hörte ich das Rauschen von Schwingen. Sie klatschten und flüsterten und schimmerten über uns, wandten sich vom Schein der Feuer ab und flogen zurück in die immer dunklere Nacht. Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich in die Finsternis. Sie bewegte sich, wogte und reflektierte hier und da das Mondlicht.
    James flüsterte mir ins Ohr: »Wenn ich daran denke, dass ich
dich
mal beängstigend fand …«
    Ich konnte nichts erwidern, denn die Worte blieben mir im Halse stecken. Der Gesang des Dornenkönigs

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