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Mitternachtskinder

Mitternachtskinder

Titel: Mitternachtskinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Salman Rushdie
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wissen, wohin er ging? Oder woher er gekommen war? Vielleicht war er einmal ein ganz normaler Kerl gewesen, wie ich oder Sullivan.
    »Sullivan …«, sagte ich und richtete den Blick von seinen Flügeln auf sein Gesicht.
    »Beeil dich«, herrschte er mich an und klang nun eher wie der Sullivan, den ich kannte. »Es ist Halloween, und ich bin der König der Toten. Ich will dich nicht töten.
Geh.
«
    »Danke«, sagte ich, und diesmal fühlte es sich nicht mehr so seltsam an, das auszusprechen.
    Ich nahm Dees Hand, und wir rannten los.

[home]
    James
    A ls wir das Gebäude verließen, bemerkte ich, dass die Zeit uns wieder einmal davongelaufen war. Die Morgendämmerung hing schon als schwaches Versprechen am Horizont hinter den Parkplätzen, obwohl der Himmel noch dunkel war. Die Nacht der Toten würde nur noch wenige Stunden dauern. Mein Blick huschte als Erstes zur Seward Hall, zu dem Herbstfeuer, in dem Nuala gestanden hatte.
    Ihr Feuer kennzeichnete den Himmel. Ich konnte den Boden nicht sehen, aber die goldenen Flammen ganz oben, die so hoch in die Luft schlugen, dass die Wolken ihr Licht reflektierten. Und das Feuer sang.
    Einen Moment lang aufgehoben …
    Das goldene Licht, das über die Dächer der Wohnheime hinausschoss, leuchtete grell, und sein tanzendes Muster brannte sich mir ein.
    Wunderschöner Missklang, Zucker auf den Lippen, tanzend bis zur Erschöpfung
    Worte stoben wie Funken in die Luft. Ich wusste nicht, ob alle sie hören konnten oder nur ich. Ich verstand nicht, was sie bedeuteten, so wirr mischten sie sich mit der Musik.
    Reißen meinen Körper in Stücke
    Die Musik schien sich aus tausend Liedern auf einmal zusammenzusetzen, alle wunderschön und traurig, transzendent und golden wie das Licht am Himmel.
    So sehr will ich alles
    Ich ließ Dees Hand los. Ich hörte unser Lied – das Lied, das Nuala und ich im Kino gemeinsam geschrieben hatten. Und dann hörte ich ihr Lied. Das Stück, das ich für sie auf dem Klavier gespielt hatte.
    Ich bin dem Anfang schon so fern
    Ich falle, ich falle
    Und ich vergesse, dass ich bin.
    Alles, was Nuala ausmachte, schoss in den Himmel empor, ein gewaltiger, prachtvoller Vielklang aus Farbe, Worten und Musik. Es flog hinauf, immer schneller, immer strahlender, und ich rannte, so schnell ich konnte, und ließ Dee beim ersten Feuer zurück. Ich wusste nicht, was ich tun würde. Ich konnte nur daran denken, dass ich rechtzeitig dorthin musste, um zumindest ein wenig von ihr zu retten.
    Ich drängte mich durch die Schüler – die doch nur Schüler waren, keine Feen, keine Zauberwesen – und hastete am Brunnen vorbei. Über dem Feuer konnte ich den Himmel nun nicht mehr sehen, denn das Wohnheim versperrte mir die Sicht. Ich rannte darum herum, kam keuchend und mit Seitenstechen um die Ecke und blieb abrupt stehen.
    Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Nuala. Oder einen Leichnam. Oder sonst irgendetwas. Aber nicht … nichts.
    Die Kohlen ganz in der Mitte des Herbstfeuers hinter der Seward Hall glühten noch, doch was eben gebrannt hatte, war zu trockener, grauer Asche zerfallen. Von der gewaltigen goldenen Explosion, die ich von der Brigid Hall aus gesehen hatte, war keine Spur mehr da.
    Wo Nuala gestanden hatte, lag nur verkohlte Schlacke.
    Der Wind erfasste die oberste Schicht, wirbelte sie hoch in die Luft, schleuderte sie mir ins Gesicht und zeichnete Muster in die Asche.
    Da war nichts. Da war absolut nichts.
    Mir stand ihr Gesicht vor Augen, als sie mich hatte gehen sehen. Sie musste geglaubt haben, dass ich mich gegen sie und für Dee entschieden hatte. Sie musste gedacht haben …
    Langsam ließ ich mich auf die Knie in die Asche sinken und sah zu, wie sie sich an die Hosenbeine meiner Jeans heftete. Ich spürte, wie meine Zehen hinter mir darin versanken.
    Auf der anderen Seite des Feuers, wabernd durch die Hitze, die immer noch von der schwelenden Glut aufstieg, entdeckte ich Paul. Er stand zwischen den Säulen der Seward Hall und beobachtete mich. Dee trat zu ihm, und sie wechselten ein paar Worte. Keiner von beiden wandte den Blick von mir ab.
    Ich wusste, dass sie über mich sprachen. Es war mir gleich. Ich wusste, dass sie mich beobachteten. Auch das war mir egal.
    Ich schlug die Hände vors Gesicht.
    So kniete ich lange da.
    Dann hörte ich Schritte, und jemand hockte sich vor mich hin.
    »James«, meinte Paul. »Willst du wissen, was Cernunnos mir gesagt hat?«
    Ich öffnete die Augen nicht, sondern seufzte nur.
    »Er hat gesagt, Nuala

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