Mitternachtslöwe (German Edition)
sie:
›Die Glocken, Eiwar, hörst du nicht den Klang der astralen Glocken? Sie rufen nach dir! Steh auf Abaris Eiwar. Wir brauchen dich.‹
Die Frau hob langsam ihren Kopf, doch statt eines menschlichen Gesichts glich ihres eher dem eines wilden Raubtieres. Abaris wollte zurückweichen, doch seine Beine waren nicht hörig. Genau wie seine Augen die nicht vom Blick des Menschentieres ablassen wollten.
›Akzeptiere was ich bin.‹
Panik erfüllte ihn, Todesangst kroch durch jedes seiner Glieder. Er versuchte mit aller Gewalt sich vom Fleck zu bewegen, doch er war ein Gefangener seines Traums, gefesselt von der eigenen Angst. Das Tierwesen schwebte direkt vor ihm und Abaris konnte deutlich zahlreiche Narben erkennen, welche sein Gesicht überzogen. Blut rann durch sie, breitete sich aus und bildete Symbole entlang der Furchen, wie Schriftzeichen, geritzt ins Fleisch.
›Sieh mich an, und blicke in die Zukunft.‹
Hustend und wasserspuckend erwachte Abaris aus einer bleiernen Ohnmacht. In seinem Kopf hämmerte eine Horde arbeitswütiger Schmiede mit ihren schweren Werkzeugen gegen sein Hirn. Der Schmerz in seiner Brust stach schlimmer denn je und seine Robe glich jetzt eher einem löchrigem Lumpen, der ihn eisig umschlang.
Irgendwie hatte er sich ans rettende Ufer ziehen können. Mit aller Kraft die ihm blieb, lehnte er sich an eine Felswand. Das Wasserbecken, in welchem er gelandet war, befand sind in einer kleinen, dem Anschein nach, natürlichen Höhle und füllte sie fast vollständig aus. Ein blaugrünes Schimmern leuchtete vom Grund empor. Trotz der eher kalten Farben strahlte es in einem warmen, sanften Licht und erhellte den kleinen Raum geradeso, dass man mit Mühe einige Fuß weit sehen konnte.
Er versuchte über seinen rasenden Herzschlag und seiner schweren Atmung hinweg zu horchen. Doch die eifrigen Metallarbeiter dachten noch lange nicht daran Feierabend zu machen und schlugen kräftig auf ihre Ambosse, was alle Anstrengungen etwas wahrzunehmen zunichte machte.
Völlig erschöpft, verwundet und gefangen in einem aussichtslosen Alptraum aus Höhlen, Gängen, Abgründen und tobenden Biestern war er, Abaris Eiwar, am Ende seiner Kräfte. Für einen kurzen Moment versank er in Träumerei, löste sich von seinen Sorgen, die ihn umgaben und malte sich aus, wie schön es wäre, wieder zu Hause zu sein, an einem warmen Feuer zu sitzen, gut zu speisen, und mit Freunden die gut gefüllten Weinkrüge zu erheben.
Die Illusion, dass all dies bald Wirklichkeit werden würde, zersprang mit einem Mal, wie ein zu Boden gefallender Tonkrug in tausend Scherben, als ein Geräusch ihn aus seinem Traum weckte. Ein lautes, unnatürliches Echo flog durch den Raum. Ein Plätschern, das Fallen von Tropfen auf die Wasseroberfläche. Abaris schaute hinüber zum Becken, doch es war nichts zu erkennen. Das Wasser ruhte. Und noch einmal traf, irgendwo mit voller Wucht, eine weitere Wassertraube auf die Oberfläche.
Ihm war, als würde sich am Rande des Wasserlochs etwas tun. Und tatsächlich. Das Leuchten aus dem Becken wurde stärker und bewegte sich. Ohne eine Welle auf dem Wasser zu schlagen, näherte es sich dem Rand und kroch heraus, als würde die ganze Höhle wie eine Schale in den Händen eines Riesen gekippt werden und ihr Inhalt heraus fließen. Es bildete sich ein kaum zwei Finger breiter Rinnsal der immer stärker leuchtete und schnell die ganze Höhle erstrahlen lies. Langsam, oder schon fast vorsichtig, floss der Kopf des Lichtwurms auf Abaris zu, ohne sich dabei vom Wasserbecken zu trennen. Kurz vor ihm blieb er stehen. Einige Sekunden starrte Abaris auf das Wasser. Doch schon floss der glühende Strom weiter, und verschwand in einer Ritze der Felswand.
Seiner Neugier geweckt folgte Abaris dem Flüsschen. Es war keinesfalls im Fels verschwunden, sondern nur um eine Ecke gebogen, die sich zuvor im Dunklen verbarg. Dort hinter führte ein Gang, nun in warmes, grünblau getaucht, entlang. Kaum blickte Abaris um die Ecke, setzte sich der Wurm wieder in Bewegung, als hätte er auf ihn gewartet. Wie ein langer Bindfaden zog er sich durch die Gänge, wanderte stetig weiter und wusste bei jeder Abzweigung genau welcher Weg einzuschlagen war.
»Offenbar kennst du dich hier aus«, sagte Abaris. »Dennoch hoffe ich, du führst mich nicht in die Irre. Obwohl ich bezweifle, dass man noch mehr irregeführt werden kann, als ich es schon bin.«
Der Wurm blieb stumm.
Unaufhaltsam folgte Abaris dem eigenwilligen
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