Mitternachtslöwe (German Edition)
kleiner, aufgeregter Mann mit krausem Haar entgegen gerannt. »Herr Bureus, wie gut, dass Ihr kommt.« Ungeduldig rückte er seine Nickelbrille zurecht. »Ihr müsst immer noch die Liste...«
Johannes hob nur abweisend die Hand. »Nicht jetzt, Jörn!«, blockte er scharf ab und betrat sein Studierzimmer am Ende der Halle voller Büchersäulen. Er schmiss seinen Mantel beiseite und begann seine ordentlich zusammengerollte Sammlung von Landkarten in Durcheinander zu stürzen. Schließlich nahm er eine Karte aus dem Regal und breitete sie auf seinem Schreibtisch aus. Einige Sekunden starrte er auf die in Tinte gezeichnete Landschaft. Hektisch ging Bureus zu den Regalen welche vor Büchern überquollen. In jeder freien Nische, egal ob längs, quer oder schräg, stapelten sich Bücher. Selbst oben auf den Regalen wo einst Präparate von Auerhuhn, Fuchs und Marder hausten, waren Türme aus gebundenem Papier errichtet worden. Bureus legte die Regalleiter an die erste Bücherwand und erklomm den Gipfel des Literaturgebirges.
»Ah, da ist es ja.«
Vorsichtig nahm er ein altes, staubiges Buch und begann mit dem Abstieg. Aus seinem Mantel holte er ein weiteres, in Leder gebundenes Büchlein. Bureus setzte sich an seinen Schreibtisch und begann aufgeregt in beiden Büchern zu blättern. Dabei schweifte sein Blick immer wieder auf die Landkarte.
Jubelnd sprang Bureus auf. »Ja, das ist es - das muss es sein.« Sein altes Herz machte einen Satz. Er tauchte seine Feder ins Tintenfass und markierte auf der riesigen Karte an der Wand hinter sich eine Stelle.
»Jörn?!«, schrie Bureus.
Einige Sekunden später steckte der Bibliothekar seinen Kopf durch den Türspalt. »Habt Ihr doch noch etwas Zeit für die Listen?«
»Schick jemanden los um Byrger Bescheid zu sagen er solle sofort herkommen.«
Verwundert schaute Jörn den königlichen Hofarchivar an. »Ich bin heute der Einzige hier«, sagte Jörn, als wolle er andeuten, dass er nicht Bureus' Laufbursche sei, und bei der Eiseskälte nicht daran dachte sich durch die Stadt scheuchen zu lassen.
»Dann musst du selber los, es ist äußerst wichtig. Sag ihm ich habe den Letzten gefunden, dann wird er schon verstehen.«
»In Ordnung, wie Ihr meint«, versuchte Jörn sich nichts anmerken zu lassen und machte sich auf den Weg.
»Beeilung bitte Jörn, das kann einfach nicht warten.«
Es war bereits kurz nach Mittag, als auch die letzten Gäste das Wirtshaus verließen. Nur noch Abaris saß in einer Ecke und trank ab und zu einen Schluck aus seinem Becher. Der Wirt säuberte einige Krüge, wobei er sich nicht scheute dabei seinen letzten Gast ausgiebig zu begutachten.
»Kundschaft wie Euch habe ich nicht alle Tage. Ihr scheint mir nicht aus dieser Gegend zu kommen. Seid Ihr einer aus dem Süden?«, fragte er plötzlich und polierte fleißig weiter den Henkel eines Krugs.
»Sind die Leute hier oben alle so neugierig?«, fragte Abaris.
Der Wirt druckste etwas herum. »Verzeiht, das war keineswegs unhöflich gemeint. Doch dieser Krieg macht einen schon recht misstrauisch gegenüber Fremden. Der Gedanke, dass welche von diesen Federmänteln hier einmal auftauchen könnten, lässt mich nicht ruhig schlafen.«
Abaris leerte seinen Becher. »Kann ich verstehen. Auf dem Weg hier her habe ich gesehen was diese Leute und ihr Krieg anrichten.«
»Ihr wart im Krieg?«, hakte der Wirt neugierig nach.
»Ja, aber seid unbesorgt – gewiss nicht auf deren Seite.«
Beruhigt schrubbte der Wirt weiter seine Krüge. »Man erzählt sich, dass es nicht mehr lange dauert bis der Krieg auch uns erreichen wird.«
»Wollen wir es nicht hoffen.« Abaris stand auf, und ging zum Wirt an den Schanktisch, um zu zahlen.
Die Tür des Wirtshauses schlug auf und ein kalter Wind zog durch die Stube. Ein kleiner Mann mit beschlagener Brille trat hinein und sah sich um. »Ach, so ein Pech aber auch«, seufzte er, »Hallo, Holmger. Sag, war Herr Tidesson hier?«
»Tidesson? Ja sicher, aber der ist schon vor einiger Zeit gegangen. Wieso, was ist denn? Du wirkst so aufgebracht.«
»Ich bin durch die ganze Stadt gelaufen, um ihn vom Rathaus abzuholen, aber dort sagte man mir nur er wäre hier. Und jetzt habe ich ihn schon wieder verpasst. So was aber auch. Herr Bureus möchte, dass er sofort in die Bibliothek kommt. Kannst du mir sagen wo er hin ist?«
»Tut mir Leid, das weiß ich nicht.«
Mit seinen Worten gewann Jörn schlagartig Abaris' Aufmerksamkeit. »Sagtet Ihr Bureus?«, unterbrach er die
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