Mitternachtsmorde
wahrscheinlicher war es, dass man ihn tötete oder von ihm getötet wurde. »Sie meinen, dass sie jemanden angeheuert haben könnte.«
»Nachdem es meines Wissens auf der University of Kentucky keinen Studiengang in Speerwerfen gibt, würde ich davon ausgehen, dass sie ihn jedenfalls nicht selbst geworfen hat.« Er hatte Gerüchte gehört, dass Mrs Allen vor allem zwei Dinge studiert hatte: Make-up und Männer. Er war ihr nie begegnet und hatte sich deshalb keinen persönlichen Eindruck machen können. Ob sie desillusioniert von ihrer Ehe und ihrem Ehemann war, ob sie in ihrem Bekanntenkreis jemanden hatte, der sich mit Speeren auskannte, und ob sie sich anderswo umsah und vielleicht gern an fremden Matratzen schnupperte, würde eine Vernehmung ans Licht bringen.
Bis dahin war der Speer selbst das wichtigste Indiz. Ein so exotisches Hobby wie Speerschnitzen musste auffallen, und der Speer musste irgendwo hergestellt worden sein. Die Bauart musste analysiert und die Holzart bestimmt werden, dann würden sie schon rausfinden, woher das Ding stammte. Vielleicht war es aus irgendeiner Sammlung gestohlen worden. Vielleicht hatte der Mörder eine Waffe aus seiner eigenen Sammlung verwendet – was dumm, aber nicht ausgeschlossen war. Die meisten Mörder waren nicht besonders klug. Und alle machten Fehler. Selbst die schlauesten unter ihnen, die aus der Sache ein Spiel machten, tappten irgendwann in die Falle.
In diesem Fall war es der erste Fehler, ein so ungewöhnliches Tötungsinstrument zu wählen, weil Knox damit bereits die erste Fährte hatte.
Am nächsten Abend checkte eine Frau in ein Motel am Highway kurz vor Pekesville ein. Sie war hübsch, hatte dunkles Haar und dunkle Augen und ein freundliches Gesicht, das zu einem Kontaktversuch einlud. Pauline Scalia nahm die Einladung an und erfuhr dadurch, dass ihr neuer Gast aus New York stammte, mehrere Tage in der Stadt bleiben würde und gern lachte. Die Frau zahlte mit einer Kreditkarte, die auf den Namen Nikita T. Stover ausgestellt war, und der Führerschein stimmte in Namen und Bild überein.
Nachdem Nikita Stover den Schlüssel ausgehändigt bekommen hatte, parkte sie ihren Wagen vor Apartment 117, holte einen kleinen Koffer aus dem Kofferraum und verschwand in ihrem Zimmer. Eine halbe Stunde später ging das Licht aus, was darauf schließen ließ, dass Ms Stover schlafen gegangen war.
Am nächsten Morgen zog sich Nikita mit mühsam gezügeltem Eifer an. Die Aufregung jagte ihren Herzschlag hoch, und sie spürte den rasanten Puls, mit dem das Blut durch ihren Körper gepumpt wurde. Sie war hier, sie war wirklich hier! Nach jahrelangem Studium, Training, geistiger und körperlicher Vorbereitung war sie endlich im Einsatz. Und was für einen Einsatz man ihr anvertraut hatte!
Nicht dass die Chefs ihr einen Gefallen tun wollten; sie war die dritte Kraft, die diese Mission übertragen bekam. Der erste Agent, Houseman, war im Einsatz getötet worden. Der zweite, McElroy, hatte elend versagt. Nikita war sich der Gefahr, der sie persönlich und beruflich ausgesetzt war, durchaus bewusst, aber trotzdem spürte sie, wie das Adrenalin in ihren Adern kochte. Sie liebte Herausforderungen über alles, und sie war so einsatzbereit, wie man überhaupt nur einsatzbereit sein konnte.
Ein wenig unbeholfen versuchte sie ihre Bluse zuzuknöpfen, atmete kurz tief durch, um die leise zitternden Finger zu beruhigen, und brachte die Aufgabe dann zu Ende. Sie betrachtete sich kritisch im Spiegel. Sie sah gut aus: weiße Bluse, taillierte schwarze Hose, Holster links an der Taille. Dazu trug sie schwarze Pumps mit fünf Zentimeter hohen Absätzen, eine schlichte Armbanduhr mit schwarzem Lederband und kleine Goldkreolen in den Ohren. Nachdem sie ihr leichtes schwarzes Jackett übergestreift hatte, kontrollierte sie noch einmal, ob die Waffe zu sehen war. Stirnrunzelnd zupfte sie den Stoff zurecht, um die Beule besser zu verdecken. So, jetzt konnte sie gehen.
Sie hatte einen Plan, und sie würde ihn umsetzen. So wie sie es sah, war es McElroys entscheidender Fehler gewesen, auf eigene Faust zu ermitteln und die Hilfe, die er hätte bekommen können, nicht zu nutzen. Er hatte den Weg des Cowboys gewählt, womit er zwar nicht in Gefahr gekommen war, seine Mission zu verraten, aber dafür hatte ihn dieser Weg persönlich in größte Gefahr gebracht und ihn bei den Ermittlungen behindert. War der sicherste Weg automatisch der beste? McElroy hatte zwar eine wesentliche Maßgabe
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