Mitternachtsmorde
beachtet, aber er hatte dafür beim wichtigsten Teil seiner Mission versagt. Sie hatte nicht vor, zu versagen.
Sie merkte, dass sie über ihre eigenen Gedanken lächeln musste. Mein Gott, sie liebte diese farbenfrohen Metaphern: Auf in den Sattel, lonesome Cowboy. Diese Wendungen waren von kulturellen Erfahrungen geprägt, während ihre eigene Sprache viel technischer – und farbloser – war. Sie hatte den Dialekt so eingehend studiert, dass sie inzwischen sogar in solchen Wendungen dachte, was sehr praktisch war, da sie auf diese Weise nicht so schnell patzen würde. Der Akzent war kein wirkliches Problem, denn sie versuchte gar nicht erst, als Einheimische aufzutreten.
Sie nahm ihre Kamera und die kleine schwarze Schultertasche, trat aus dem Motelzimmer und prüfte automatisch nach, ob der Türriegel richtig eingerastet war. Sobald sich der heiße Kentucky-Sommertag über sie legte wie eine feuchte Decke, wünschte sie sich, kein Jackett tragen zu müssen, aber ein professionelles Auftreten war unverzichtbar.
Ihr Mietwagen parkte direkt vor dem Zimmer. Sie hatte ihn nicht genau innerhalb der Markierung abgestellt, erkannte sie, bekümmert über ihr Ungeschick. Ein gründliches Training war hilfreich, aber es war kein Ersatz für echte Erfahrung. Auf einem Trainingskurs zu fahren war nicht dasselbe, wie nachts ein fremdes Auto durch unbekanntes Gelände zu steuern. Wenigstens war sie nirgendwo dagegengefahren oder hatte sich verirrt. Das wäre ein peinlicher Auftakt für ihren Auftrag gewesen.
Die kleine Fernbedienung entriegelte das Fahrzeug, und sie nahm hinter dem Lenkrad Platz. Gründlich wie immer, nahm sie sich kurz Zeit, um alle Instrumente zu studieren und sich wieder mit der Anordnung der verschiedenen Schalter, Knöpfe und Hebel vertraut zu machen, ehe sie den Schlüssel drehte und lächelnd zuhörte, wie der Verbrennungsmotor zum Leben erwachte. Sie spielte kurz mit dem Radio; wenn sie die Auswahl-Taste drückte, bekam sie nur statisches Rauschen zu hören, aber sie hatte in der vergangenen Nacht herausgefunden, dass durch die Suchen-Taste die Frequenzen abgesucht wurden, bis ein Sender gefunden war. Sobald sie Musik hörte, musste sie lächeln, drückte aber jedes Mal weiter auf die Suchen-Taste, bis sie bei einem Sender landete, der allem Anschein nach eine örtliche Talkshow brachte. Sie musste sich darüber informieren, was sich hier abspielte.
Auch nachdem sie die Karten der Stadt und der Umgebung studiert hatte, um sich jede einzelne Straße einzuprägen, hatte sie einen Stadtplan auf dem Beifahrersitz liegen, während sie sich vorsichtig an den Ampeln und Stoppschildern vorbei vorwagte. Das gesuchte Haus ausfindig zu machen war kein Problem, und sie war stolz auf sich. So weit, so gut.
Die Adresse befand sich knapp außerhalb der Stadtgrenze, wo die Wohnhäuser weiter auseinander standen und ab und zu schon Felder zu sehen waren. Sie parkte vor dem Grundstück und blieb kurz sitzen, um die Umgebung in sich aufzunehmen. Hübsch. Schöne hohe Bäume und gepflegte Grünanlagen, ein üppiger grüner Rasen und ein Haus, das wohlhabend, aber nicht protzig wirkte. Weiß mit dunkelblauen Fensterläden und einer hübschen, tiefen Veranda, die sich auf der rechten Seite um das Haus zog. Vier Stufen führten auf die Veranda und direkt an die Haustür.
Dunkelgrüne, mit unzähligen rosa Blüten überzogene Büsche schmiegten sich an die Hauswand und überdeckten die Ziegelfundamente. Nikita hatte nicht viel Ahnung von Gartenpflanzen, aber sie vermutete, dass es sich bei den Büschen um Azaleen handelte. Vielleicht. Die Büsche waren gestutzt, der Rasen war frisch gemäht. Zwei riesige Eichen – immerhin erkannte sie Eichen – überschatteten den gesamten Vorgarten und einen Teil des Hauses. Zwischen den beiden Bäumen war gelbes Band gespannt, das die Einfahrt versperrte und sich in einem Unheil verheißenden Ring um das Haus zog.
Sie hängte sich ihre Tasche über die Schulter, stieg mit der Kamera in der Hand aus dem Auto und machte ein paar schnelle Fotos, um eine Gedächtnisstütze zu haben, wenn sie ihre Berichte schrieb oder an Theorien feilte. Dann duckte sie sich unter dem gelben Band durch und ging die gepflasterte Einfahrt hinauf, wobei sie immer weiter fotografierte. Sie erwartete nicht, dass sie etwas sah, was ihr Aufschluss über den Mörder geben würde und was die anderen Agenten übersehen hatten, aber trotzdem prägte sie sich alle Entfernungen und Maße ein. Langsam umrundete sie
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