Mitternachtspalast
einziger Dank waren Worte des Hasses. Er warf ihm vor, ihn verraten und im Stich gelassen zu haben, um ihn loszuwerden. Er beschuldigte ihn, den Pakt gebrochen zu haben, den sie beide vor Jahren geschlossen hätten, und schwor Rache, denn schließlich gehöre ihm, wie er ihm bei der Urteilsverkündung aufgebracht von der Anklagebank zurief, die Hälfte seines Lebens.
Dein Vater bewahrte dieses Geheimnis tief in seinem Herzen, denn er wollte nicht, dass deine Mutter jemals davon erfuhr. Mit den Jahren wurden alle äußeren Hinweise auf diese Erinnerung ausgelöscht. Nach der Hochzeit, den ersten Ehejahren und den ersten Erfolgen deines Vaters schien alles nur noch eine Episode aus einer fernen Vergangenheit zu sein.
Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als deine Mutter schwanger war. Dein Vater war wie ausgewechselt, nicht mehr wiederzuerkennen. Er kaufte einen jungen Wachhund, den er zum treuen Beschützer seines Kindes ausbilden wollte, und sprach ständig von dem Haus, das er zu bauen gedachte, von seinen Zukunftsplänen, von einem neuen Buch …
Einen Monat später klopfte Leutnant Michael Peake, ein früherer Verehrer deiner Mutter, an seine Tür und überbrachte eine Nachricht, die Angst und Schrecken über ihr Leben bringen sollte: Jawahal hatte den Gefängnistrakt für Schwerverbrecher in Brand gesteckt, in dem er inhaftiert war, und war geflohen. Doch zuvor hatte er mit dem Blut seines Zellengenossen, dem er die Kehle aufgeschlitzt hatte, das Wort
Rache
an die Zellenwand geschrieben.
Peake versprach persönlich, nach Jawahal zu suchen und sie vor jeder Bedrohung zu schützen. Es vergingen zwei Monate, ohne dass es Neuigkeiten oder Hinweise auf Jawahals Aufenthaltsort gab. Bis zum Geburtstag deines Vaters.
Am frühen Morgen gab ein Bettler ein Päckchen für ihn ab. Es enthielt ein Medaillon, jenes Schmuckstück, für das Jawahal seinen ersten Mord begangen hatte, und eine Nachricht. Darin erklärte Jawahal, dass er ihm über Wochen heimlich nachspioniert und festgestellt habe, dass er nun ein erfolgreicher Mann sei und eine wunderschöne Ehefrau habe. Er wünsche ihnen nur das Beste und werde ihnen demnächst einen Besuch abstatten, um, so sagte er, brüderlich zu teilen, was ihnen beiden gehöre.
Die nächsten Tage brachten Angst und Schrecken. Einer der Männer, die Peake abgestellt hatte, um nachts das Haus zu bewachen, wurde tot aufgefunden. Der Hund deines Vaters lag eines Morgens auf dem Grund des Brunnens im Hof. Und jede Nacht wurden die Hauswände mit neuen, in Blut geschriebenen Drohungen beschmiert. Peake und seine Leute waren machtlos.
Es waren schwere Tage für deinen Vater. Er hatte soeben sein Meisterwerk erbaut, den Bahnhof Jheeter’s Gate am Westufer des Hooghly River. Der Bau war eine beeindruckende, bahnbrechende Eisenkonstruktion und der Höhepunkt des langersehnten Vorhabens deines Vaters, im ganzen Land ein Eisenbahnnetz zu schaffen, das es ermöglichte, einen eigenen Handel aufzubauen und die Moderne in die Provinzen zu bringen, um so die britische Vorherrschaft zu beenden. Es war eine Obsession von ihm, über die er stundenlang voller Begeisterung sprechen konnte, als handele es sich um einen göttlichen Auftrag, mit dem er betraut worden war.
Die offizielle Einweihung von Jheeter’s Gate fand am Ende jener Woche statt. Man beschloss, zur Feier des Anlasses symbolisch einen Zug auf die Reise zu schicken, der 365 Waisenkinder zu ihrem neuen Zuhause im Westen des Landes bringen sollte. Es waren Kinder aus den ärmsten Stadtvierteln, und das Projekt deines Vaters bedeutete für sie ein neues Leben. Es war ein Vorhaben, an dem dein Vater vom ersten Tag an mitgewirkt hatte und das ein Lebenstraum für ihn war.
Deine Mutter drängte inständig darauf, zumindest für ein paar Stunden dabei sein zu können, und versicherte, dass der Schutz durch Leutnant Peake und seine Männer ausreichen würde, um ihre Sicherheit zu gewährleisten.
Als dein Vater in den Zug stieg und die Lokomotive in Fahrt setzte, die die Kinder zu ihrem neuen Zuhause bringen sollte, geschah etwas, auf das niemand vorbereitet war. Ein Feuer. Ein schrecklicher Brand griff auf alle Ebenen des Bahnhofs über und breitete sich in den Waggons des Zuges aus, der wie eine Hölle auf Rädern in den Tunnel raste und für die Kinder, die darin saßen, zu einem Grab aus glühendem Eisen wurde. Dein Vater starb in jener Nacht bei dem vergeblichen Versuch, die Kinder zu retten, während seine Träume für immer in
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