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Mitternachtspalast

Mitternachtspalast

Titel: Mitternachtspalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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Entfernung.
    »Und?«, fragte Isobel und sprach aus, was alle dachten.
    »Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll«, antwortete Ian.
    »Fang mit dem Schlimmsten an«, schlug Seth vor.
    »Alles ist schlimm«, entgegnete Ian.
    Die anderen musterten ihn schweigend. Ian sah seine Freunde an und lächelte schwach.
    »Zehn Ohren hören dir zu«, sagte Isobel.
    Ian wiederholte wortgetreu, was Aryami ihnen im Haus erzählt hatte, ohne ein Detail auszulassen. Der Schluss seines Berichts galt Ben und Sheere, die allein im Zimmer zurückgeblieben waren, und dem furchtbaren Damoklesschwert, das, wie sie gerade erfahren hatten, über ihren Köpfen hing.
    Als er am Ende angelangt war, hatte die Chowbar Society die lähmende Hitze vergessen, die in der Luft hing wie eine Strafe Gottes.
    »Wie hat Ben es aufgenommen?«, erkundigte sich Roshan.
    Ian zuckte mit den Schultern und runzelte die Stirn.
    »Nicht sehr gut vermutlich. Wie hättest du es aufgenommen?«
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte Siraj.
    »Was können wir denn machen?«, entgegnete Ian.
    »Viel«, warf Isobel ein. »Alles, außer mit unseren Hintern in der Sonne zu braten, während ein Mörder versucht, Ben umzubringen. Und Sheere.«
    »Jemand dagegen?«, fragte Seth.
    Alle schüttelten einhellig die Köpfe.
    »Als gut, Käpt’n«, sagte Ian, an Isobel gewandt. »Wie lauten die Befehle?«
    »Zunächst mal müssen wir so viel wie möglich über dieses Unglück in Jheeter’s Gate und über den Ingenieur herausfinden«, schlug Isobel vor.
    »Das kann ich übernehmen«, bot sich Seth an. »In der Bibliothek des Indischen Museums muss es Zeitungsartikel aus dieser Zeit geben. Vielleicht auch Bücher.«
    »Seth hat recht«, sagte Siraj. »Der Brand von Jheeter’s Gate war damals eine große Sache. Viele Leute erinnern sich noch daran. Es wird Schriftstücke darüber geben. Der Himmel weiß, wo, aber es wird sie geben.«
    »Dann müssen wir sie finden«, beschloss Isobel. »Sie können ein wichtiger Anhaltspunkt sein.«
    »Ich werde Seth helfen«, setzte Michael hinzu.
    Isobel nickte entschieden.
    »Wir müssen alles über diesen Mann und sein Leben erfahren, und über dieses wundersame Haus, das irgendwo hier stehen muss«, sagte Isobel. »Vielleicht führt es uns zu diesem Mörder.«
    »Wir beide machen uns auf die Suche nach dem Haus«, schlug Siraj vor und deutete auf sich und Roshan.
    »Wenn es wirklich existiert, werden wir es finden«, setzte Roshan hinzu.
    »Einverstanden. Aber geht nicht rein«, warnte Isobel.
    »Keine Sorge«, beruhigte Roshan sie und breitete unschuldig die Arme aus.
    »Und ich? Was soll ich machen?«, fragte Ian, dem anders als seinen Freunden nicht gleich eine Aufgabe einfiel, die seinen Fähigkeiten entsprach.
    »Du bleibst bei Ben und Sheere«, entschied Isobel. »Wir kennen das ja: Bevor wir uns versehen, hat Ben alle zehn Minuten eine andere verrückte Idee. Bleib bei ihm und pass auf, dass er keine Dummheiten macht. Es ist nicht gut, wenn er mit Sheere durch die Gegend läuft.«
    Ian nickte. Er wusste, dass seine Aufgabe die schwierigste war, die Isobel verteilt hatte.
    »Wir treffen uns vor Einbruch der Dunkelheit im Mitternachtspalast«, schloss Isobel. »Hat noch jemand eine Frage?«
    Die Jungs sahen sich an und schüttelten dann entschlossen den Kopf.
    »Gut, dann geht’s los«, sagte Isobel.
    Seth, Michael, Roshan und Siraj machten sich unverzüglich auf den Weg zu ihren jeweiligen Aufträgen. Isobel blieb mit Ian zurück und sah schweigend zu, wie die vier durch die flirrende Luft, die über den staubigen, glutheißen Straßen hing, davongingen.
    »Und was machst du, Isobel?«, erkundigte sich Ian.
    Isobel sah ihn an und lächelte rätselhaft.
    »Ich habe da so eine Eingebung«, sagte sie.
    »Vor deinen Eingebungen habe ich mehr Angst als vor einem Erdbeben«, entgegnete Ian. »Was hast du vor?«
    »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Ian«, nuschelte Isobel.
    »Wenn du das sagst, mache ich mir erst recht Sorgen«, erklärte Ian.
    »Vielleicht bin ich heute Abend nicht beim Mitternachtspalast«, erklärte Isobel. »Wenn ich noch nicht zurück bin, dann tu, was du tun musst. Du weißt immer, was zu tun ist, Ian.«
    Der Junge seufzte besorgt. Diese ganze Geheimniskrämerei und das seltsame Leuchten, das er im Blick seiner Freundin bemerkte, gefielen ihm nicht.
    »Isobel, sieh mich an!« Das Mädchen gehorchte. »Was auch immer es ist, schlag es dir aus dem Kopf.«
    »Ich kann gut auf mich aufpassen, Ian«, entgegnete sie

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