Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
sachliche Stimme vom anderen Ende des Zimmers, »leg dich nicht mit ihr an.«
Ruby schnaubte verächtlich, trat noch einen Schritt vor und sah unvermittelt in den Lauf einer kleinen Pistole.
»Verschwinden Sie endlich«, sagte Kit gefährlich ruhig. »Und machen Sie die Tür hinter sich zu.«
Ruby starrte von der Waffe zu Cain.
Er zuckte gleichgültig mit den Achseln. »Ich hab dich gewarnt.«
Nach einem letzten mordlüsternen Blick auf die Dame mit der Pistole stürmte Ruby aus dem Raum und knallte die Tür hinter sich zu.
Endlich mit ihm allein, wusste Kit vor lauter Anspannung nicht, wie sie anfangen sollte. Sie hatte sich genau überlegt, was sie sagen wollte, aber ihr Gedächtnis schien wie leergefegt. Sie bemerkte die Pistole in ihrer Hand und dass diese auf Cain gerichtet war. Hastig steckte sie sie in ihr Handtäschchen zurück. »Sie ist nicht geladen.«
»Dem Herrn sei Dank für seine kleinen Wohltaten.«
Sie hatte sich ihre Versöhnung in glühenden Farben ausgemalt. Dass Cain sich bereits mit einer anderen vergnügte und ihr nur kühle Distanziertheit entgegenbrachte, hätte sie sich nie vorzustellen vermocht.
»Was machst du eigentlich hier?«, fragte er schließlich.
»Dich suchen.«
»Ach so. Na, jetzt hast du mich ja gefunden. Was willst du von mir?«
Wenn er nicht so reserviert wäre, fiele es ihr vielleicht leichter. Aber er kam ihr kein bisschen entgegen. Stattdessen fixierte er sie wie eine lästige Bittstellerin.
Schlagartig wuchs Kit die Situation über den Kopf – die strapaziöse Reise, die schreckliche Ungewissheit und dass sie ihn zu allem Überfluss in den Armen einer anderen Frau erwischt hatte. Sie griff in ihre Handtasche und zog einen dicken Umschlag heraus. »Ich wollte dir das hier bringen.« Sie legte das Kuvert auf den Tisch, schnellte herum und flüchtete.
Der Flur schien plötzlich kilometerlang zu sein, die Treppe ein unüberwindbares Hindernis. Sie stolperte und fing sich gottlob wieder. Die Männer an der Bar verfolgten das Schauspiel mit gereckten Hälsen. Ruby stand auf der untersten Stufe, noch immer in ihrem aufreizenden Morgenmantel. Kit zwängte sich an ihr vorbei und steuerte auf die Schwingtüren des Saloons zu.
Wenige Schritte davor hörte sie ihn hinter sich. Hände umschlossen ihre Schultern und wirbelten sie herum. Der Boden unter ihren Füßen verschwand, denn er hob sie in seine Arme. An seine Brust gepresst, trug er sie durch die Bar.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend lief er die Treppe hinauf. Trat seine Zimmertür auf und drückte sie mit dem Fuß zu.
Unschlüssig, was er mit ihr anfangen sollte, warf er sie auf das Bett. Für Augenblicke starrte er sie nur an, seine Miene undurchschaubar. Dann durchquerte er den Raum und öffnete den fraglichen Umschlag.
Sie lag ganz still, während er die Dokumente überflog.
Er blätterte durch die Seiten, las alles noch einmal langsam durch. Schließlich blickte er kopfschüttelnd zu ihr. »Ich fass es einfach nicht, was du da gemacht hast. Warum, Kit? Warum?«
»Ich musste es tun.«
Er sah sie scharf an. »Hat dich irgendjemand dazu gezwungen?«
»Nein.«
»Warum dann?«
Sie setzte sich auf den Bettrand. »Ich fand, es war die einzig richtige Entscheidung.«
»Was soll das heißen? Die einzig richtige Entscheidung?«
Als sie nicht direkt antwortete, warf er die Papiere beiseite und trat zu ihr. »Kit! Wieso hast du Risen Glory verkauft?«
Zu benommen für eine Erklärung, starrte sie schweigend auf ihre Hände.
Cain fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, während er mehr zu sich selbst als zu ihr meinte: »Wie konntest du die Plantage verkaufen? Risen Glory bedeutete dir doch immer so viel. Und für zehn Dollar pro Acre. Das ist ein Spottpreis.«
»Ich wollte sie schnell loswerden, und ich hab den passenden Käufer gefunden. Der Erlös liegt auf deinem Konto in Charleston.«
Cain war sprachlos. »Auf meinem Konto?«
»Es war deine Plantage. Und dein Geld, womit du Risen Glory wieder aufgebaut hast.«
Er sagte nichts. Das Schweigen zog sich hin. Sie hätte schreien mögen vor Anspannung.
»Du wärst mit dem Käufer garantiert einverstanden gewesen«, murrte sie schließlich.
»Warum, Kit? Erklär mir doch warum.«
Bildete sie sich es nur ein, oder war sein Ton einen Hauch weicher geworden? Blitzartig fiel ihr Ruby ein. Wie viele Frauen hatte es nach ihr schon gegeben? So viel zu ihren Träumen. Wenn sie ihm ihre Beweggründe darlegte, stünde sie wie eine Idiotin da, aber das war
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