Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
Waffe weggenommen. Und auf der Reise brauchte ich doch irgendwas, um mich im Ernstfall zu verteidigen.«
»Verstehe.« Er legte das Messer außer Reichweite. »Wenn du mich nicht umbringen willst, was dann?«
Die Sache lief aus dem Ruder, dachte Kit frustriert. Am liebsten hätte sie ihn angefahren, er solle sie doch endlich in Ruhe lassen, aber das versagte sie sich lieber. »Ich schlage vor, wir essen erst was, und dann erzähle ich Ihnen alles, ja? War nicht einfach, hier was Genießbares aufzutreiben. Wäre echt schade, wenn wir das Hühnchen verbrutzeln ließen.«
Er überlegte kurz. »Also gut, essen wir. Aber nachher reden wir ein ernstes Wort miteinander.«
Kit lief in die Küche. »Das Essen wird gleich serviert.«
Verdammt, er hätte ihr direkt entgegentreten müssen, aber ihm knurrte empfindlich der Magen. Seit seiner Abreise aus New York hatte er freilich nichts Anständiges mehr gegessen.
Sobald er ihr Messer versteckt hatte, stapfte er in den Speiseraum. Als Kit die Platte mit dem Brathähnchen auf den Tisch stellte, bemerkte er, dass sie blitzsauber war. Die kurz geschnittenen Haare, das burschikose Hemd mit dem fehlenden Knopf und die dunkelbraune Hose, die ihr locker auf den schmalen Hüften hing – alles wirkte blütenfrisch. Er hätte nie geglaubt, dass sie freiwillig baden würde. Aber offenbar tat sie eine ganze Menge, um ihn umzustimmen.
Da verschätzte sie sich jedoch gewaltig. Ihm war immer noch schleierhaft, wie sie es überhaupt geschafft hatte, herzukommen. Anscheinend schreckte sie vor nichts zurück.
»Setzen Sie sich und greifen Sie zu, Major. Ich hoffe, Sie haben einen Mordsappetit mitgebracht.«
Cain musste einräumen, dass es ihm ausgezeichnet schmeckte. Das Hähnchen war goldbraun gebraten, und die noch warmen Buttermilchbiskuits dufteten verführerisch. Der Löwenzahnsalat war köstlich gewürzt.
Gesättigt lehnte er sich auf dem Stuhl zurück. »Das hast du aber nicht selbst gekocht, oder?«
»Aber natürlich. Normalerweise hätte Sophronia mitgeholfen, aber sie ist nicht da.«
»Sophronia ist eure Köchin?«
»Ja, und sie hat sich in meiner Kindheit um mich gekümmert.«
»Leider zu wenig.«
Kits lavendelschimmernde Augen wurden schmal. »Ehrlich gesagt, an Ihrer Erziehung hätte ich auch einiges zu bemängeln.«
Das Essen hatte ihn schläfrig gemacht, deshalb überging er ihre Provokation. »Alles hat vorzüglich geschmeckt.«
Sie erhob sich und nahm eine Flasche Brandy von der Anrichte. »Die hat Rosemary damals vor den Yankees versteckt. Dachte, Sie möchten vielleicht ein Glas, zur Feier des Tages.«
»Schätze, meine Mutter hatte es mehr mit dem Alkohol als mit ihrer Stieftochter.« Er nahm die Flasche und zog den Korken. »Wie kam Risen Glory eigentlich zu diesem Namen? Er ist ziemlich ungewöhnlich.«
»Kurz nachdem mein Großvater das Haus gebaut hatte«, Kit lehnte sich gegen die Anrichte, »kam ein Baptistenprediger hier vorbei und bat um eine warme Mahlzeit. Meine Großmutter war zwar eine strenge Methodistin, trotzdem gab sie ihm etwas zu essen. Dabei kamen die beiden ins Gespräch. Und als er erfuhr, dass die Plantage noch keinen Namen hatte, schlug er Risen Glory vor. Weil bald Ostern wäre. Seitdem heißt sie so viel wie ›Himmlische Auferstehung‹.«
»Aha.« Er fischte ein Stück Kork aus seinem Cognacschwenker. »So, und jetzt verrätst du mir mal, warum du eigentlich hergekommen bist.«
Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen. Sie gewahrte, wie er einen Schluck Brandy nahm und sie dabei nicht aus den Augen ließ. Dieser Yankee hatte anscheinend alles im Blick.
Kit schlenderte zu den offenen Türen, die vom Esszimmer in den verwilderten Garten hinausführten. Draußen war es dunkel und friedlich, die Abendluft verströmte den lieblichen Duft von Geißblatt. Sie liebte die Plantage, die Bäume und Büsche, die Gegend und die Gerüche. Vor allem aber konnte sie sich nicht sattsehen an den Feldern, weiß von tanzenden Baumwollbällchen. Bald war es wieder so weit.
Sie drehte sich langsam zu ihm um. Die nächsten Minuten würden alles entscheiden, sie durfte also keinen Fehler machen. »Ich bin hergekommen, weil ich Ihnen etwas vorschlagen möchte, Major.«
»Ich bin nicht mehr bei der Armee. Nenn mich doch einfach Cain.«
»Für mich bleiben Sie weiterhin der Major.«
»Immer noch besser als einiges andere, womit du mich beschimpft hast.« Er schob den Stuhl ein Stück zurück. Im Gegensatz zu den etikettebewussten Südstaatlern
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