Mitternachtsspitzen: Roman (German Edition)
lassen.«
»Wäre auch nicht schlimmer, als Ihre besserwisserischen Vorträge ertragen zu müssen.«
Mit einem Ruck hob er sie aus der Wanne, trug sie in die Halle und stellte sie unsanft auf die Füße. »Ich hab das Hemd in dein Zimmer gelegt. Morgen wird Mrs. Simmons mit dir ein paar passende Sachen einkaufen gehen.«
Sie musterte ihn argwöhnisch. »Was meinen Sie mit passend?«
Ihm schwante bereits, was als Nächstes kommen würde. »Kleider, Kit.«
»Ticken Sie noch ganz richtig?«
Sie wirkte so schockiert, dass er fast geneigt war zu lachen. Nichts da, er musste hart bleiben. »Du hast mich verstanden. Und noch eins, während meiner Abwesenheit tust du, was Mrs. Simmons sagt. Für den Fall, dass du ihr Ärger machst, habe ich Magnus angewiesen, dich
in deinem Zimmer einzusperren. Das ist mein voller Ernst, Kit. Wehe, wenn ich nach meiner Rückkehr irgendwelche Klagen hören muss. Ich möchte dich deinem künftigen Erziehungsberechtigten nämlich sauber und manierlich gekleidet vorstellen.«
Die Emotionen, die sich auf ihrem Gesicht spiegelten, schwankten zwischen Frustration und blanker Verzweiflung. Wasser perlte von ihren nassen Haarspitzen auf die schmalen Schultern. »Wollen Sie das wirklich tun?«, fragte sie leise.
»Selbstverständlich werde ich einen anderen gesetzlichen Vertreter für dich bestellen. Darüber solltest du froh sein.«
Sie umklammerte das Handtuch so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. »Das meinte ich nicht. Wollen Sie Risen Glory wirklich verkaufen?«
Ihre tiefe Bestürzung tat ihm in der Seele weh. Dennoch hatte er nicht die Absicht, sich eine heruntergewirtschaftete Plantage ans Bein zu binden, aber das würde sie nie begreifen. »Ich will das Geld nicht für mich, Kit. Es fließt in deinen Treuhandfonds.«
»Ihr blödes Geld interessiert mich nicht! Sie können Risen Glory nicht verkaufen.«
»Ich muss. Irgendwann verstehst du das vielleicht.«
Kits Augen schimmerten wie zwei gefährlich tiefgründige Seen. »War ein Riesenfehler von mir, dass ich Ihnen nicht den Kopf weggepustet habe.«
Darauf stolzierte die schmächtige, in ein Badetuch gewickelte Gestalt majestätisch wie eine Königin an ihm vorbei und knallte ihre Schlafzimmertür hinter sich zu.
4
»Heißt das, in der gesamten Gemeinde hier ist niemand bereit, die Vormundschaft für Miss Weston zu übernehmen? Auch nicht, wenn ich für Ihren Unterhalt zahle?« Cain fixierte Rawlins Ames Cogdell, den Reverend von Rutherford, South Carolina, der seinen Blick erwiderte.
»Verstehen Sie mich nicht falsch, Mr. Cain. Aber wir kennen Katharine Louise um einiges besser als Sie.«
Rawlins Cogdell flehte inständig, dass der Herrgott ihm die innere Genugtuung verzeihen möge, mit der er diesem Yankee eins vor den Bug schoss. Der Held vom Missionary Ridge, hahaha! Sich mit Kriegsgewinnlern wie ihm abgeben zu müssen war bitter für den Reverend. Aber was blieb ihm anderes übrig? Die blau uniformierten Truppen waren überall, und selbst ein Gottesmann musste vorsichtig sein, dass er nirgends aneckte.
Seine Frau Mary trat eben in den Türrahmen. Sie trug ein Tablett mit vier kleinen, hauchdünn mit Erdbeermarmelade bestrichenen Sandwiches. »Störe ich?«
»Nein, nein. Komm rein, meine Liebe. Mr. Cain, das müssen Sie probieren. Meine Frau ist berühmt für ihre Erdbeermarmelade.«
Es war der Rest aus dem letzten Glas Marmelade, die seine Frau vor zwei Jahren eingemacht hatte, als es noch Zucker gab. Und das Brot war rationiert und musste eigentlich noch die ganze Woche reichen. Trotzdem war Rawlins froh, dass sie dem Gast etwas anbot. Er wäre eher gestorben, als ihre bittere Armut vor diesem Fremden zur Schau zu tragen.
»Danke, für mich nicht, meine Liebe. Ich hebe mir den Appetit für das Abendessen auf. Bitte, Mr. Cain, langen Sie zu.«
Cain war bei weitem nicht so abgestumpft, wie Cogdell glaubte. Er wusste sehr wohl, welches Opfer ihm da auf dem blau gemusterten Keramikteller gebracht wurde. Er nahm sich ein Sandwich, obwohl er Marmelade verabscheute, und machte der Dame des Hauses artig Komplimente. Verdammte Südstaatler, dachte er im Stillen. Nur wegen ihrer Sturheit und Arroganz waren sechshunderttausend Menschen umgekommen.
Für Cain resultierte diese Arroganz eindeutig aus dem im Norden scharf kritisierten Missstand der Sklaverei. Die Pflanzer hatten wie Großfürsten auf ihren riesigen Plantagen gelebt, wo sie Hunderte von Sklaven drangsalierten. Sie waren überheblich, stolz,
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