Mitternachtsspuren - Mignani, L: Mitternachtsspuren
an.“
Lior traf ihren Blick und für einen Moment versank sie in den seegrünenAugen, sah eine Emotion in ihnen, die sie schlucken ließ, denn es war die unverhohlene Gier nach Zuneigung. Sie verstand es zu gut.
„Richtig, Morven. Was hat der Mensch aus den Religionen gemacht? Wozu benutzt er sie?“
„Er mordet und unterdrückt. Das tat er schon immer.“ Sie spürte Traurigkeit. „Es wird schlimmer.“
Kendrick zog sie enger zu sich, bemerkte ihr Zittern, ihre Verwirrung, sie sah es ihm an. Sie wäre am liebsten geflüchtet und hätte die Geschehnisse ignoriert. Es war unmöglich, denn sie steckte viel zu tief drin. Mit eigener Kraft konnte sie sich nicht befreien. Das Gefühl ließ sie verunsichert zurück, denn sich auf jemanden anderen zu verlassen, brachte Leid mit sich. Das hatte sie bereits im Kindesalter gelernt. Die alte Brandnarbe prickelte auf ihrem Nacken und erinnerte sie daran, dass Vertrauen gefährlich war.
Nosferat sprach weiter.
„Mit jeder Katastrophe, die die humanoide Lebensform verursacht hat, veränderten sich die Angelus. Nine-Eleven, Lockerbie, der Zweite Weltkrieg, die Inquisition. Die Liste lässt sich endlos fortführen bis zu eurer Entstehung.“
„Was habe ich damit zu tun?“ Morven glaubte nicht daran, dass sie zufällig in die Geschichte geschlittert war. Tante Una, das Cottage, die Glyphen, Brian. Den Gedanken an ihn musste sie zur Seite schieben, sonst verlor sie erneut den Kampf gegen die Tränen. Was hatte sie getan?
„Du bist die Armanach.“
Kendricks Stimme riss sie aus den Überlegungen. Zuerst konnte sie mit dem Wort nicht viel anfangen. Dann dämmerte ihr, dass es mit Rüstungen zu tun hatte.
„Deine Gedanken gehen in die richtige Richtung, Flùr. Du bist die Rüstungsschmiedin.“
Kendrick löste sich von ihr und sie fühlte sich augenblicklich verloren. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
Verdammt, es war äußerst unangenehm, wenn nicht einmal die eigenen Gedanken privat blieben.
Lior reichte Kendrick eine Lederjacke. Morven erkannte sie sofort.
Sie passte Kendrick wie angegossen.
Lior griff nach ihrer Hand und hielt sein Messer zwischen den Fingern. Die Klinge glitzerte bedrohlich.
„Keine Angst.“
Ihr blieb fast das Herz stehen. Sie starrte wimmernd auf den Stahl, denn er stach sie in den Mittelfinger.
„Bist du verrückt?“ Sie versuchte, ihm die Hand zu entziehen, doch er ließ nicht los.
Ein roter Tropfen bildete sich auf der Fingerspitze. Lior führte ihre Hand in einem komplizierten Muster über die Jacke. Das Leder saugte das Blut auf,leuchtete silber, bevor es bläulich schimmerte. Das Schimmern verschwand und Lior rammte die Klinge in Kendricks Brust.
Die gesamte Jacke flimmerte blau. Das Messer flog aus seiner Hand. Morven wäre nach vorn gekippt, wenn Lior sie nicht gehalten hätte.
Kein Kratzer verunzierte die Jacke, genauso wenig wie Kendrick.
Morven versuchte, auf die Füße zu springen, aber ihre Beine gehorchten ihr nicht. Stattdessen drückte Kendrick sie in eine liegende Position.
„Ich glaube, das reicht für den Anfang. Du solltest dich ausruhen. Ich bringe dich ins Bett.“
„Wage es nicht. Ich habe ein Anrecht, alles zu erfahren und könnte unmöglich schlafen.“
Kendrick tauschte mit Nosferat einen seltsamen Blick.
„Ich möchte über mich bestimmen. Hört auf, mich zu behandeln, als wäre ich nicht anwesend.“
Ehe es ihr gelang, sich aufzurichten, lagen Nosferats Hände auf ihren Schultern. Seine Energie kroch ihren Körper entlang, sie spürte es wie Sandpapier unter der Haut.
„Heb dein Temperament für nützlichere Dinge auf. Jetzt musst du zu Kräften kommen.“
„Ich bin kräftig genug.“
Spöttisch zog Nosferat seine Augenbrauen nach oben.
„Dann steh auf und lauf zur Tür.“
Morven richtete sich viel zu schnell auf. Als sie sich auf die Füße stellen wollte, fiel sie zum zweiten Mal in ihrem Leben in eine Bewusstlosigkeit.
Kendrick hielt sie in den Armen, als sie zusammensackte. Ihre Tätigkeit als Armanach kostete eine Menge Energie. Sie benötigte ein intensives Training, um ihre Kräfte zu stärken und sinnvoll einzuteilen, ohne dass sie sie in die Knie zwangen. Die vergangenen Tage waren nicht einfach für sie, forderten jetzt ihren Tribut.
„Kendrick, du darfst keine Zeit vergeuden. Du musst sie schnellstmöglich an dich binden.“
Nosferats nachdenklicher Blick lag schwer auf ihm. Er vermutete, dass er einen intelligenten Plan im Sinn hatte und nicht bereit war,
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