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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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Schuhen an.« Während Ryan der Schwester die
Schuhe und die weißen Strümpfe auszog, knöpfte Caroline die
weiße Bluse auf. Es dauerte nicht lange, da hatten sie
gemeinsam die bewusstlose Schwester vom Fußboden ins Bett
verfrachtet. Jetzt fixierte Caroline die Frau mit den Riemen so
ans Bett, wie man es zuvor mit ihr gemacht hatte und
vergewisserte sich, dass die Fesseln straff saßen. »Und jetzt
deck sie zu«, sagte sie zu Ryan, während sie in die
Schwesternuniform schlüpfte. Die war ihr zwar zwei Nummern
zu groß, aber immer noch besser, als im Morgenmantel auf der
Straße herumzulaufen. Die Schuhe waren auch viel zu groß,
doch nachdem sie die Schnürsenkel stramm gezogen hatte,
konnte sie sicher sein, dass sie ihr beim Rennen, falls das nötig
war, nicht von den Füßen rutschten.
»Wie bist du hier hereingekommen?«, fragte sie Ryan im
Flüsterton.
»Übers Dach«, antwortete Ryan. »Es war ganz einfach. Ich
bin die Feuerleiter hoch –«
»Zeig sie mir«, unterbrach ihn Caroline. »Wenn man nicht
gemerkt hat, wie du dich hereingeschlichen hast, kommen wir
vielleicht auch wieder unbemerkt raus.« Nachdem sie den
Knebel noch einmal überprüft hatte, folgte sie Ryan zur Tür. Er
machte sie einen Spalt weit auf, und beide horchten. Als sie
nichts Verdächtiges hörten, zog er die Tür weiter auf und
spähte hinaus in den Flur.
Nichts.
»Komm«, flüsterte er. »Lauf mir nach.«
    »Da bist du hinaufgeklettert?«, fragte Caroline völlig perplex,
als sie die Leiter hinabschaute, die zum ersten Treppenabsatz
an der Rückseite des Nachbarhauses vom Biddle Institut führte.
Beim Hinunterschauen wurde ihr schon schwindlig, und bei
dem Gedanken daran, selbst da hinabklettern zu müssen, ganz
flau im Magen.
    »Ach, das war ganz leicht«, versicherte ihr Ryan. »Viel
leichter als vom Dach des Rockwell zu springen.«
Caroline starrte ihn ungläubig an, sah aber, dass er die
Wahrheit sagte. Doch anstatt die Worte auszusprechen, die ihr
auf der Zunge lagen – der Ausbruch einer entsetzten Mutter,
die nicht begreifen kann, dass ihr eigenes Kind sich in solche
Gefahr begibt –, schluckte sie sie hinunter. Gegen die
Höhenangst ankämpfend, die sie zu überwältigen drohte, trat
sie auf die Brüstung an der Dachkante, drehte sich um,
klammerte sich an den Seitenteilen der Leiter fest und begann
den Abstieg. Das schaffe ich nie, dachte sie. Ich werde
stolpern, die Leiter loslassen und –
»Denk dran, was Dad immer gesagt hat«, flüsterte ihr Ryan
zu, der ihre Angst spürte. »Beiß die Zähne zusammen!«
Jetzt klangen auch ihr Brads Worte wieder im Ohr, und sie
beschloss, dass sie unter keinen Umständen stolpern würde.
Sie würde weder den Kontakt zur Leiter verlieren – noch den
Verstand.

38. Kapitel
    Ich sehe aus wie eine Krankenschwester, die nach dem Dienst
nach Hause geht, beruhigte sich Caroline, als sie die 82. Straße
entlangeilten, aber nicht richtig rannten, um nicht die
Aufmerksamkeit der anderen Passanten auf sich zu ziehen.
    »Warum verständigen wir nicht die Polizei?«, hatte Ryan
gefragt, kaum dass sie die letzten Sprossen der Feuerleiter auf
der Rückseite des Nachbargebäudes überwunden hatten. Doch
Caroline hatte den Vorschlag sofort verworfen, als sie sich
Frank Oberholzers Gesicht in Erinnerung rief, nachdem sie ihm
von den Vorkommnissen im Rockwell erzählt hatte. Die
Polizei würde als Allererstes Tony anrufen – oder wie immer
sein richtiger Name lautete, denn inzwischen war sie davon
überzeugt, dass er genauso viele Namen hatte wie Virginia
Estherbrook. Dann wäre sie in null Komma nichts wieder in
diesem Krankenhaus, und Laurie und Ryan …
    Laurie und Ryan blieben dann in Anthony Flemings Obhut.
Wozu sie es niemals kommen lassen würde.
»Dazu ist jetzt keine Zeit«, hatte sie Ryan geantwortet.
Es war nach Mitternacht – um diese Zeit hatte sie gestern die
    Geheimtür in dem Schrank von Tonys Arbeitszimmer entdeckt.
Mitternacht – um dieses Zeit hatte Laurie die Stimmen
gehört, die, wie sie ihr selbst versichert hatte, nur aus einem
schlechten Traum herrührten.
Mitternacht – das war die Zeit – und da gab es für sie keine
Zweifel mehr –, zu der das Festmahl im Rockwell begann.
Nachdem die Kinder, an denen sie sich laben würden, schlafen
gegangen waren und nur schwache Erinnerungen an das haben
würden, was nur ein Albtraum gewesen sein konnte.
»Wie spät ist es?«, fragte sie zum dritten Mal innerhalb
weniger Minuten.

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