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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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ihrer
Kinder zusammenzukratzen? Aber noch während diese Frage
in ihrem Bewusstsein Gestalt annahm, wusste sie bereits die
Antwort: Wenn sie nicht einmal genug Geld für die Miete
hatte, war an eine private Schulausbildung für ihre Kinder gar
nicht zu denken.
Ich schaffe das nicht, beklagte sich ihre innere Stimme. Mir
wächst das alles über den Kopf! Doch schon im nächsten
Moment hörte sie Brads Widerspruch: »Du schaffst das. Du
wirst einen Weg finden. Du musst einen Weg finden.«
»Und das werde ich auch«, sagte sie mit fester Stimme und
merkte erst, dass sie laut gesprochen hatte, als Laurie sie mit
gerunzelter Stirn ansah.
»Was wirst du?«, fragte Laurie.
Wieder legte sie ihrer Tochter den Arm um die Schultern.
»Ich kriege das alles auf die Reihe«, antwortete sie.
»Was denn?«
Caroline drückte ihre Tochter kurz an sich. »Das Leben«,
erklärte sie. »Einfach das Leben.« Dann lehnte sie sich zurück,
um Ryan beim Baseballspielen zuzuschauen, und für eine
ganze Weile lösten sich ihre Probleme gnädig in der Wärme
und der Klarheit dieses herrlichen Frühlingsvormittags auf.
    Irene Delamond und Anthony Fleming spazierten vier
Häuserblocks weiter die 66. Straße hinunter, überquerten die
Central Park West und betraten dort den Park. Den
Spazierstock locker in der rechten Hand, hakte sie sich mit dem
anderen Arm bei Anthony unter und sah zu ihm hoch. »Sie
vermissen Lenore schrecklich, nicht wahr?« Sie spürte, wie er
sich verspannte, und drückte beruhigend seinen Arm. »Wir alle
vermissen sie, Anthony. Aber dass sie uns verlassen hat,
bedeutet nicht, dass damit Ihr Leben zu Ende ist.« Es folgte ein
langes Schweigen, während dem Anthony ihre Bemerkung zu
überdenken schien, doch schließlich nickte er, und als er
sprach, bemerkte Irene die Unsicherheit in seiner Stimme. »Ich
vermute, dass Sie damit Recht haben. Aber es ist erst sechs
Monate her.«
    »Zeit ist immer relativ, mein lieber Anthony«, stellte Irene
fest, während sie den Weg zum Spielplatz einschlug. »Für
einen unheilbar Kranken sind sechs Monate ein Leben, und
zwar kein sehr langes. Für ein dreijähriges Kind, das sich auf
Weihnachten freut, sind sechs Monate eine Ewigkeit.« Sie
seufzte. »Für mich vergehen sechs Monate so schnell wie ein
Augenblick.«
    »Und in meinem Fall?«, erkundigte sich Anthony und sah zu
Irene hinab.
Jetzt ertappte sie ihn bei einem winzigen Lächeln – sein
Lächeln war mit das Attraktivste an ihm – und registrierte ein
Aufblitzen seiner Augen, die die gleiche Farbe wie Türkise
hatten, die Härte dieses Steins jedoch vermissen ließen. »Nun,
ich denke, das müssen Sie selbst entscheiden, nicht wahr?«
Jetzt floss sein Lächeln in die Breite. »Außer Ihre
übereifrigen Freundinnen nehmen mir diese Entscheidung ab.«
Sie knuffte ihn in den Arm. »Tz, tz, spricht man so über
seine wohlmeinenden Nachbarn?«
»Anfangs war ich der Meinung, dass eine so große Stadt ein
anonymer Ort sei«, bemerkte er düster.
»Ist sie auch. Abgesehen vom Rockwell und, wie ich
annehme, dem Dakota.« Sie sprach den Namen des Gebäudes,
das nicht weit vom Rockwell entfernt stand, mit kaum
verschleierter Geringschätzung aus.
»Was gibt es denn am Dakota auszusetzen? Außer dem
unsrigen ist es das einzig sehenswerte Haus an der West Side.«
»Schauspieler«, spuckte sie aus. »Das Dakota quillt über von
diesem Volk. Lärmende Partys, und all diese halbseidenen
Gestalten. Man muss sich das mal vorstellen!«
»Wenn ich mich recht entsinne, beherbergt das Rockwell
ebenfalls eine Vertreterin dieser Gilde.«
»Das ist etwas ganz anderes«, meinte seine Begleiterin
verschnupft.
»In der Tat?«, wunderte sich Anthony. »Das müssen Sie mir
erklären.«
»Ist das nicht offensichtlich? Virginia Estherbrook ist eine
von uns!« Erneut drückten ihre Finger seinen Arm, doch
diesmal hatte diese Geste nichts Beruhigendes. »Und glauben
Sie bloß nicht, dass Sie bei mir so einfach das Thema wechseln
können.« Sie dirigierte ihn zu einem der rautenförmigen
Baseballfelder, wo sich eine Schar johlender Kinder um einen
Mann in dem gestreiften Hemd des Schiedsrichters drängte.
»Lassen sie uns eine Weile den Kindern zusehen«, sagte sie,
als die Gruppe sich in zwei neue Mannschaften aufteilte.
Während das eine Team auf das Spielfeld lief, und das andere
lauthals die Reihenfolge der Schläger diskutierte, beobachtete
Anthony amüsiert, wie Irene die Bänke hinter dem Backstop
beäugte, und

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