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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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versuchte vorherzusagen, auf welcher sie Platz
nehmen würde. Die meisten Bänke wurden von Männern
okkupiert, die sich untereinander zu kennen schienen, und von
denen Anthony annahm, dass es geschiedene Väter waren, die
das Wochenende mit den Kindern verbrachten, die sie unter der
Woche nie zu Gesicht bekamen. Ganz wie erwartet, ignorierte
Irene diese Männerdomäne und steuerte die Bank an, auf der
eine Frau mit einem Mädchen saß, sie ein paar Jahre jünger als
Anthony, die Kleine kurz vor dem Teenageralter.
»Sind hier noch zwei Plätze frei?«, erkundigte sich Irene
freundlich.
Die Frau sah hoch, nickte flüchtig und richtete ihren Blick
wieder auf das Spiel, das soeben begonnen hatte. Irene setzte
sich und klopfte nachdrücklich auf den freien Platz neben sich.
Als Anthony keine Anstalten machte, ihrer Aufforderung
nachzukommen, fixierte sie ihn mit einem durchdringenden
Blick. »Nur ein paar Minuten«, drängte sie. »Das wird Sie
nicht umbringen.«
Widerwillig nahm Anthony neben ihr Platz und wartete auf
Irenes Eröffnungsmanöver, das auch nicht lange auf sich
warten ließ».
»Spielt Ihr Sohn da mit?«, erkundigte sie sich mit einem
gewinnenden Lächeln.
Die Frau nickte abermals. »Er ist im linken Feld.«
»Dann muss er ein guter Spieler sein. Die Schlechten stecken
sie immer ins rechte Feld.«
Jetzt sah die Frau Irene an. »Wenn er könnte, würde er jeden
Tag Baseball spielen. Aber da sein Vater –« Plötzlich stieg ihr
die Röte ins Gesicht, und sie schien sich ein wenig zurückzuziehen. »Nun, er spielt nicht so oft, wie er gerne möchte.«
»Wie schade«, seufzte Irene mitfühlend und überflog das
Spielfeld.
Anthony Fleming beobachtete, wie ihr Blick an einem
Jungen im linken Feld hängen blieb, der in diesem Moment
lossprintete, um blitzschnell den Ball aus der Luft zu pflücken.
Er war sich ziemlich sicher, sie ganz kurz nicken gesehen zu
haben, als hätte der Bursche gerade einen Test bestanden, dem
sie ihn insgeheim unterzogen hatte.
Und dann schaute der Junge direkt in ihre Pachtung, als wäre
er sich der Prüfung bewusst gewesen, doch Irene hatte ihre
Aufmerksamkeit schon wieder der Frau am anderen Ende der
Bank zugekehrt.
»Es bleibt einfach nicht mehr genug Zeit, habe ich Recht?«,
bemerkte sie im Plauderton. »Die Kinder haben heutzutage
einfach zu viel um die Ohren.« Sie beugte sich ein wenig vor
und richtete das Wort nun an das Mädchen, das auf der anderen
Seite von seiner Mutter saß. »Und wie steht es mit dir, kleines
Fräulein? Magst du Baseball?«
Das Mädchen schüttelte den Kopf, blieb aber stumm, und
schließlich antwortete die Mutter für sie: »Ich habe ihr
versprochen, heute Nachmittag mit ihr in den Bronx-Zoo zu
fahren, aber nun muss ich überraschend arbeiten. Ich –«
»Mo-om!« Das Mädchen verdrehte mit übertriebener
Empörung die Augen. »Musst du jedem immer gleich alles
erzählen?«
»Huch, mein liebes Kind«, säuselte Irene. »Ich fürchte, ich
habe meine Nase in Dinge gesteckt, die mich nichts angehen,
stimmt das?«
»Nein, keineswegs«, beeilte sich die Frau zu versichern.
»Nur ist dieser Samstagvormittag nicht gerade unser
Glückstag, das ist alles.« Dann wandte sie sich an ihre Tochter.
»Und ich glaube nicht, dass ich dieser Dame ein großes
Geheimnis verraten habe, Laurie. Ich habe versprochen, mit dir
in den Zoo zu gehen.«
Das Gesicht des Mädchens glühte vor Verlegenheit.
»Würdest du bitte aufhören, mich wie ein Kleinkind zu
behandeln?«
»Das wird sie vermutlich nicht«, entgegnete Irene prompt,
ehe die Mutter des Mädchens zu einer Antwort ansetzen
konnte. »Meine Mutter hat mich bis zu dem Tag, als sie starb,
wie ein Kind behandelt, und ich war damals schon fast sechzig.
Wenn du glaubst, dass das jetzt schon schlimm ist, dann warte
noch ein paar Jahre. Sie wird dich schier wahnsinnig machen.«
Laurie, die die Worte der älteren Dame sichtlich verblüfft
hatten, starrte Irene an, die ihr kumpelhaft zuzwinkerte. »So
sind Mütter nun mal«, endete Irene im übertriebenen
Flüsterton. »Ich glaube, sie haben das Gefühl, schlechte
Erziehungsarbeit geleistet zu haben, wenn ihre Sprösslinge sich
nicht ständig wie Idioten vorkommen.« Jetzt starrte sie auch
die Mutter mit großen Augen an. »Ich bin Irene Delamond.«
»Caroline Evans«, antwortete die Frau. »Das ist meine
Tochter Laurie.«
»Und das hier ist mein Nachbar, Anthony Fleming«,
erwiderte Irene.
»Der jetzt aufbrechen muss«,

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