Mitternachtsstimmen
mit?«
Caroline sah, wie Vorfreude Lauries Gesicht erhellte, aber
ebenso schnell wieder verschwand, wie sie gekommen war.
»Ich … ich glaube nicht«, stotterte sie verlegen. »Nein, ich
bleib bei meiner Mutter.«
»Ach, komm schon!«, drängte Amber. »Das wird bestimmt
lustig.« Ihre Stimme wurde eine Spur schärfer. »Seit du die
Schule gewechselt hast, kriegen wir dich kaum mehr zu
Gesicht.«
Ein Ausdruck von Unsicherheit huschte über Lauries
Gesicht. »Das hat damit nichts zu tun.«
»Mit was dann?« Amber ließ nicht locker. »Du hast zu
überhaupt nichts mehr Lust.« Ihr Blick wechselte rasch zu den
anderen Mädchen, die die Szene gespannt verfolgten. »Einige
Mädchen fangen schon an zu reden.«
Laurie warf rasch einen Blick hinüber zu der wartenden
Gruppe ihrer früheren Mitschülerinnen. »Worüber denn?«
Amber zögerte kurz, ob sie wiederholen sollte, was ihre
Freundinnen über Laurie redeten, und entschloss sich dann,
kein Blatt vor den Mund zu nehmen: »Es scheint, als wolltest
du mit uns nichts mehr zu tun haben, das ist alles.«
»Das will ich schon«, begann Laurie. »Es ist nur –«
Sie kam nicht mehr dazu, den Satz zu beenden, denn jetzt
rief eines der Mädchen: »Amber, kommt ihr? Wir sind schon
spät dran.«
Amber startete einen letzten Versuch. »Sei kein Frosch,
Laurie, komm mit!«
Doch Laurie schüttelte immer noch den Kopf, und eine
Sekunde später war Amber fort. Caroline war beinahe sicher,
dass Lauries Kinn zitterte, während sie zusehen musste, wie die
Mädchen, die noch vor wenigen Monaten ihre besten
Freundinnen gewesen waren, ohne sie davon marschierten.
Besänftigend legte sie ihrer Tochter den Arm um die Schultern.
»Es tut mir Leid«, sagte sie und strebte weiter dem Spielplatz
zu, wo Ryan bereits in der bunten Jungenschar untergetaucht
war, die gerade die Parteien für ihr Baseball-Spiel wählte.
»Vielleicht finden wir eine Möglichkeit, dass ihr nächstes Jahr
wieder auf die Academy gehen könnt.«
»Nein«, erwiderte Laurie ein bisschen zu schnell und mit
einem Unterton, der Caroline warnte, nicht weiter in sie zu
dringen. Doch wenig später, als sie eine freie Bank gefunden
hatte, die einerseits nahe genug am Spielfeld stand, dass sie das
Spiel gut verfolgen konnten, und gleichzeitig weit genug weg,
dass Ryan sich nicht über Gebühr beobachtet fühlte, nahm
Laurie den Faden wieder auf: »Es ist … ach, ich weiß nicht …
selbst wenn wir wieder auf die Academy gehen könnten, würde
ich doch nicht die gleichen Sachen unternehmen können wie
früher.«
Caroline sah ihre Tochter jetzt direkt an, und im Gegensatz
zu ihrem Bruder schien sie in den letzten Minuten über ihr
Alter hinaus gereift zu sein. »Macht es dir wirklich nichts aus,
nicht mehr auf die Academy zu gehen?«
Laurie zuckte die Achseln. »Ach, ich weiß nicht. Früher, als
ich dort war, fand ich es ganz okay. Aber es kostet eine Menge,
und seit Dad …« Ihre Stimme verebbte, aber sie musste ihren
Gedanken nicht zu Ende formulieren. Die Privatschule war das
Erste, das sie nach Brads Tod hatten aufgeben müssen, und das
zu akzeptieren war Caroline mit am schwersten gefallen.
Tatsächlich hatte sie bis zur Fälligkeit der Sommersemestergebühren alles daran gesetzt, das nötige Geld aufzutreiben, um
Laurie und Ryan auf der Schule lassen zu können, für die sie
und Brad so hart gearbeitet hatten, erst um sie dort überhaupt
unterzubringen, und dann, um das Schulgeld bezahlen zu
können. Aber sie waren beide davon überzeugt gewesen, dass
es den Aufwand lohnte, denn an der Elliott Academy bekamen
die Kinder nicht nur eine gute Ausbildung, sondern waren dort
zudem auch sicher aufgehoben.
Jetzt hatte sie das Geld dafür nicht mehr, und sowohl sie als
auch die Kinder mussten sich mit dieser Tatsache abfinden.
Doch nach diesem Gespräch zwischen Laurie und Amber
Blaisdell und der Sehnsucht, die kurz in Lauries Augen
aufgeflammt war, als diese ihre alten Freundinnen ohne sie
hatte davonschlendern sehen, fragte sie sich ernsthaft, welchen
Schaden der Schulwechsel ihren Kindern wirklich zufügen
würde. Das Ausbildungsniveau an der Elliott Academy war
fraglos um einiges höher als an der staatlichen Schule, und von
Woche zu Woche las sie mehr Artikel über Schlägereien,
Diebstähle und Drogenhandel an öffentlichen Schulen,
begangen von Kindern, die nur ein oder zwei Jahre älter waren
als Laurie.
Hätte sie sich noch intensiver darum bemühen müssen,
irgendwie das nötige Schuldgeld für die Privatschule
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