Mitternachtsstimmen
Tony darüber sprach, hatte dieser
erklärt, dass er genau verstünde, wie sie sich fühlte, dass aber
ihre Entscheidung, ganz gleich, wie diese ausfiele, an seinen
Gefühlen für sie nichts ändern würde. »Wenn wir warten
müssen, bis er achtzehn ist und aufs College geht, dann warten
wir eben. Wir finden schon einen Weg.«
Schlussendlich war es jedoch Kevin Barnes gewesen, der ihr
die Augen geöffnet hatte. »Himmelherrgott noch mal, Caroline,
er ist der ideale Mann! Wäre ich mit Mark nicht so glücklich,
dann würde ich ihn selbst anbaggern. Das war nur Spaß«, fügte
er grinsend hinzu, als sie ihm ein Pommes frites an den Kopf
werfen wollte. Aber dann war seine Miene ernst geworden.
»Okay, Ryan kann ihn nicht leiden. Aber Ryan wird viel
schneller erwachsen werden als du denkst, und wo bleibst du
dann? Glaubst du denn, Tony wird bis in alle Ewigkeit auf dich
warten? Und warum sollte er auch, wenn er sieht, dass du eine
Frau bist, die sich von einem Elfjährigen vorschreiben lässt,
wie sie ihr Leben zu leben hat? Glaub mir, Schätzchen, er wird
eine andere finden – und nicht, weil er dich nicht liebt. Er will
eine Frau und Gefährtin und keine Freundin, und du kannst von
ihm nicht erwarten, dass er auf dich wartet, während du Ryans
Launen nachgibst.«
»Es geht dabei nicht um Launen!«, hatte Caroline
eingeworfen, aber Kevin hatte nur die Augen verdreht.
»Okay, vielleicht war das ein bisschen zu hart ausgedrückt.
Aber denk darüber nach, ja? Denk noch einmal in Ruhe über
alles nach.«
Und genau das hatte sie getan und am Ende entschieden,
dass Kevin Recht hatte.
An diesem Nachmittag sollten sie also in einer Suite des
Plaza Hotel getraut werden, und in ein paar Minuten würde sie
ihre Wohnung ein letztes Mal verlassen.
Ihr Blick huschte zu der Stelle auf ihrer Frisiertoilette, wo
Brads Bild gestanden hatte, und seine Augen ihr beim
Schminken und Abschminken zugesehen hatten. Wie viele
Male in den Monaten nach seinem Tod hatte sie vor seinem
Bild gesessen und mit ihm gesprochen, wissend, dass sie
wahrscheinlich keine Antwort erhalten würde, aber mit dem
Gefühl, dass er ihr immer noch sehr nahe war. Doch nachdem
sie den Entschluss gefasst hatte, Tonys Frau zu werden, hatte
sie das Bild zu den anderen Erinnerungsstücken gelegt, die sie
aufbewahrte, um sie später ihren Kinder zu geben, wenn diese
erwachsen waren. Als sie jetzt ihr Make-up auflegte, sprach sie
ein letztes Mal mit Brad.
»Sag mir, dass ich das Richtige tue«, flüsterte sie. »Sag mir,
dass meine Entscheidung kein Fehler war.«
Sie erhielt keine Antwort.
Caroline zögerte ein letztes Mal, ehe sie den Salon im Plaza
betrat. Schon durch die Tür konnte sie den Duft der Rosensträuße riechen, die seit dem Morgen unentwegt eintrafen; ein
Bouquet nach dem anderen, eines üppiger als das vorige. »Du
hast mir doch erzählt, dass du allergisch bist«, hatte sie zu
Tony gesagt, als sie ihn nach dem dritten Rosenstrauß anrief.
»Und mich gebeten, keine Blumen zu bestellen, weil du sonst
während der ganzen Feier niesen müsstest.«
»Und du hast mir geglaubt«, hatte er geantwortet. »Was nur
beweist, dass du nicht sehr aufmerksam bist. Ist dir nie
aufgefallen, dass ich im Park immer stehen geblieben bin, um
an den Rosen zu schnuppern?«
Bis zum Nachmittag war jede freie Stelle im Salon mit
Vasen voll gestellt, und jeder einzelne Lieferbursche war mit
detaillierten Instruktionen gekommen, wo genau diese Vase
stehen sollte. Die Anordnung wurde rasch klar: weiße Rosen an
der Seite des Salons, wo sich die Tür zum Schlafzimmer
befand, dann eine allmähliche Abstufung sämtlicher Rosatöne
bis hin zu einer wahren Explosion tiefroter Rosen auf der
anderen Seite des Raumes, wo die Trauungszeremonie
stattfinden sollte. Tony hatte sie alle selbst ausgesucht und ihre,
wie sie geglaubt hatte, blumenlose Hochzeit in ein wahres
Blütenfest verwandelt.
Nach einem letzten prüfenden Blick in den Spiegel hinter der
Schlafzimmertür streckte sie die Hand aus, drehte den
Türknopf und trat in den Salon. Da stand Tony, der in seinem
Smoking mit der dunkelroten Rose am Revers fabelhaft aussah.
Neben ihm Ryan, der ebenfalls im Smoking wie eine
Miniaturausgabe von Tony aussah, mit dem Unterschied, dass
Tony lächelte, während Ryan eine grimmige Gewittermiene
zur Schau trug. Laurie stand auf der anderen Seite von Tony, in
einem Kleid, das eine jugendlichere Version von Carolines
war, aber nicht
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