Mitternachtsstimmen
Fleming an die Möglichkeit einer zweiten Ehe überhaupt
nie gedacht hatte. Selbst mit einem Mann auszugehen, wäre ihr
nicht in den Sinn gekommen, nachdem der Kummer über
Brads Tod noch so frisch war. Doch von dem Moment an, als
Tonys Hand im Fahrstuhl die ihre berührt hatte, war ihr klar
gewesen, dass etwas passieren würde. Dennoch war sie sehr
zurückhaltend gewesen, hatte gewusst, dass selbst wenn er an
ihr Interesse zu haben schien, die Beziehung wahrscheinlich
dennoch nirgendwo hinführen würde.
Aber wie sich herausstellte, mochte er Kinder wirklich, und
seine Augen blitzten oft vor Fröhlichkeit, und an diesem ersten
Abend, als sie ihm noch ein Glas Wein angeboten hatte,
nachdem die Kinder im Bett waren, stellte sie fest, dass sie ihm
ihre Probleme viel leichter anvertraute, als sie gedacht hatte.
Als er ihr dann erklärte, dass sie sich viel zu viele Sorgen
machte und sich solche Dinge meist von selbst regelten, da
hatte sie ihm nicht geglaubt. Und als tags darauf Irene
Delamond sie anrief und fragte, ob sie nicht Lust hätte, ihr bei
der Umgestaltung der Wohnung behilflich zu sein, die sie mit
ihrer Schwester teilte, da war sie davon überzeugt gewesen,
dass Tony dabei seine Hand mit im Spiel hatte. Doch im
Grunde war es gleichgültig, wie sie zu dem Job gekommen war
– mit der Kommission an den Stücken, die Irene noch am
selben Nachmittag ausgewählt hatte, hatte sie die laufende
Miete und alle noch ausstehenden Rechnungen bezahlen
können.
Plötzlich musste sie nicht mehr um ihre Anstellung bangen,
und es sollte sich schnell herausstellen, dass sie ein gutes
Gespür dafür besaß, was zusammenpasste und was nicht. Irene
hatte sogar eines Tages zugestimmt, sich von dieser hässlichen
Vase zu trennen, die noch vor ein paar Wochen so »perfekt«
gepasst hatte.
Rasch hatte sich eine Routine zwischen ihnen entwickelt –
Tony hatte sie am nächsten Samstag im Park aufgesucht, wo
sie Ryan beim Baseballspielen zugesehen hatte, und schließlich
den ganzen Tag mit ihr verbracht. Eigentlich hatten sie nichts
Aufregendes unternommen – aber es war angenehm gewesen,
ihn um sich zu haben. Ein paar Wochenenden später, als sie
eine Auktion besuchen musste, um Irene dabei zu helfen, ein
paar Stücke für ihre Wohnung auszuwählen, hatte er sich
angeboten, ein Auge auf Ryan zu werfen, wenn er vormittags
Baseball und am Nachmittag Fußball spielte, hatte sich zu den
anderen Wochenendvätern gesellt, ganz so, als wäre Ryan sein
Sohn, auch wenn Ryan sich gegen dieses Arrangement heftig
gewehrt hatte.
»Warum muss der denn dabei sein?«, hatte er gemeutert, als
sie im selben chinesischen Restaurant saßen wie vor ein paar
Wochen. »Er ist nicht mein Dad!«
»Ryan!«, hatte Caroline begonnen. »Es gibt keinen Grund,
so unhöflich –«
»He«, war Tony ihr ins Wort gefallen, anscheinend gänzlich
unbeeindruckt von Ryans Ausbruch. »Ganz ruhig! Der Bursche
ist immerhin schon elf und braucht keinen Babysitter.« Dann
hatte er Ryan zugezwinkert. »Andererseits habe ich so das
Gefühl, dass du mit mir Vorlieb nehmen musst, wenn du nicht
das Baseball- und Fußballspielen ganz aufgeben willst. Mütter
machen sich einfach zu viele Sorgen, und manchmal lassen sie
nicht mit sich verhandeln.«
Am Wochenende darauf, als Ryan Krach geschlagen hatte,
weil er sich nicht die Haare schneiden lassen wollte, hatte Tony
abermals für den Jungen Partei ergriffen. »Warum sollte er in
einen Damensalon gehen wollen?« Und wieder hatte er sich an
Ryan gewandt. »Wie wäre es, wenn ich dich zu meinem
Friseur an der Columbus mitnehme?« Nachdem er sich
anscheinend überlegt hatte, dass ein Herrenfriseur allemal
besser war als ein Damensalon, auch wenn das bedeutete, dass
er mit Tony zusammen sein musste, hatte Ryan schließlich
eingewilligt. Doch trotz aller Anstrengungen von Tonys Seite
aus, war Ryan abweisend geblieben, und als Caroline ihm
eröffnete, dass sie und Tony heiraten würden, war er völlig
ausgerastet.
So vehement, dass Caroline beinahe ihre Meinung geändert
hätte.
Aber eben nur beinahe.
»Ist doch klar, dass Ryan sich dagegen wehrt«, hatte Beverly
Amondson ihr erklärt. »Was hast du denn erwartet? Er ist
gerade mal elf Jahre alt und vermisst seinen Vater. Es ist nicht
Tony Fleming, den er ablehnt – sondern einen anderen Mann.
Er will seine Mutter für sich allein haben.«
Nun war Caroline tatsächlich nahe daran, ihre Heiratspläne
aufzugeben, und als sie mit
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