Mitternachtsstimmen
identisch. »Es ist eine nette Idee, wenn du und
Ryan gleich angezogen seid«, hatte sie Tony erklärt, als sie die
Garderobe für die Trauung besprochen hatten. »Aber keine
Frau möchte auf ihrer Hochzeit eine andere Frau in exakt dem
gleichen Kleid wie ihres sehen. Außerdem ziehen sich Männer
immer gleich an. Für Mütter und Töchter ist das zu niedlich.«
Doch jetzt, als Caroline auf Tony und ihre Kinder zuschritt,
wünschte sie, sie hätte Tonys Vorschlag zugestimmt. Es wäre
nicht niedlich gewesen – sondern hinreißend. Einen Moment
später nahm sie die Hand, die Tony ihr darbot, und der Richter,
den sie mit der Durchführung der Trauung beauftragt hatten,
begann mit der kurzen Zeremonie.
Caroline reichte Laurie ihren Brautstrauß, winzige Rosen in
allen Rottönen, dann streifte Tony ihr den Ehering über, und
sie hörte den Richter leise die Worte sprechen: »Kraft des mir
vom Staate New York verliehenen Amtes, erkläre ich Sie
hiermit zu Mann und Frau.«
Tonys starke Arme umfassten sie, zogen sie zu sich heran,
und eine Sekunde später zupfte Ryan an ihrem Arm. Nachdem
sie erst ihren Sohn und dann ihre Tochter umarmt hatte,
richtete sie sich auf und wandte sich zu der kleinen Gruppe um,
die sich eingefunden hatte, um der Trauung beizuwohnen.
Kevin Barnes und Mark Noble standen ihr am nächsten;
Kevin strahlte, als hätte er die ganze Sache höchstpersönlich
eingefädelt. Claire Robinson war auch dabei. Ihr Lächeln
wirkte beinahe echt, obwohl Caroline nicht sicher war, ob sie
sich für sie freute, oder nur auf die Aussicht, ein halbes
Dutzend Bewohner vom Rockwell kennen zu lernen, ein jeder
von ihnen ein potentieller Kunde.
Beverly Amondson und Rochelle Newman waren mit ihren
Angetrauten gekommen, gemeinsam mit Andrea Costanza, die
von einem Mann begleitet wurde, der dem Anschein nach ein
wenig jünger war als sie und ganz passabel aussah, wenn man
über seine fahle Gesichtsfarbe und die Schuppen auf seinen
Schultern hinwegsah.
Auf der anderen Seite des Raumes hatten sich Irene
Delamond und einige andere Nachbarn aus dem Rockwell
versammelt.
Ehe Caroline noch mit irgendeinem von ihnen sprechen
konnte, stand Claire Robinson schon neben ihr, als wollte sie
einen dieser Küsse in die Luft hauchen, die Caroline so
verabscheute. Doch stattdessen flüsterte sie etwas zu laut: »Ist
das dort drüben Virginia Estherbrook? Stellen Sie mich ihr vor,
Caroline. Sie müssen mich ihr einfach vorstellen!«
»Meinen Sie nicht, Sie sollten meiner Frau erst einmal
gratulieren, Claire?«, meinte Tony und legte beschützend den
Arm um Caroline.
Zum ersten Mal sah Caroline Claire Robinson rot werden –
zumindest hielt sie die leichte Verfärbung ihrer Wangen für ein
Erröten, das jedoch so schnell wieder verschwand wie es
erschienen war. »Warum sollte ich wohl einer Frau gratulieren,
die den Mann bekommen hat, den ich mir geangelt hätte, wenn
ich ihn nur zuerst kennen gelernt hätte?«, konterte Claire, die
sich keine Verlegenheit anmerken ließ. Und dann schenkte sie
Caroline ihr strahlendes Lächeln, das üblicherweise nur ihren
besten Kunden vorbehalten war. »Meine Liebe, Sie wissen
doch, dass ich Ihnen gratuliere und Ihnen nur das Beste
wünsche, und jetzt, bitte, biitte, stellen Sie mich Virginia
Estherbrook vor, ja? Ich habe sie als Kleopatra, als Portia, als
Amanda in Private Lives und in Gott weiß welchen Rollen
noch gesehen.«
»Virgie?«, rief Tony. In der anderen Ecke des Raumes
drehte sich die alternde Diva um und ging auf Tony, Caroline
und Claire zu. Die Menge teilte sich wie damals das Rote Meer
für Moses, und Virginia streckte die Hand aus, als erwartete
sie, dass jemand den riesigen Rubin küsste, der an einem ihrer
arthritischen Finger funkelte.
»Was für eine wundervolle Hochzeit«, rief sie entzückt aus
und schob ihre Hand in Tonys. »Da könnte ich doch beinahe
Lust kriegen, es auch noch einmal zu versuchen.« Mit einem
überschwänglichen Lächeln wandte sie sich an Caroline: »Aber
Sie haben gerade den einzigen Mann genommen, den ich
immer wollte, aber nie haben konnte, und so werde ich wohl
die Jahre, die mir noch bleiben, als einsame alte Hexe
verbringen und vertrocknen müssen, bis mich eines Tages eine
Winterbrise hinwegweht. Ist das eine Zeile aus irgendeinem
Stück? Wenn nicht, dann sollte es eine werden.« Schließlich
richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Claire. »Ich glaube nicht,
dass wir uns kennen.«
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