Mitternachtsstimmen
vergeblich.
»Sie ist wach«, flüsterte eine Stimme. »Sie sollte doch
schlafen.«
Einen Moment später spürte sie einen Stich im linken Arm
und hörte eine andere Stimme.
»Keine Bange. Alles wird gut.«
Jetzt riss der Schlaf ein weiteres Mal sein gähnendes Maul
auf, und Laurie wusste, dass sie sich diesmal nicht gegen ihn
würde wehren können. Doch als sie sich schließlich der
Dunkelheit überließ, spürte sie wieder etwas in ihren Körper
eindringen.
Diesmal durch ihre Nase, den Mund, die Ohren und jede
andere Körperöffnung, in die man etwas einführen konnte.
Als der Schlaf seine schwarze Decke über sie breitete, hörte
Laurie eine Stimme sagen:
»Gut… so gut.«
Chloe spannte ihre Muskeln an, ihre Ohren zuckten, und ihr
Blick wanderte durchs Zimmer, während ein tiefes Knurren in
ihrer Kehle hochstieg. Wenn der kleine Hund in dieser Nacht
überhaupt geschlafen hatte, dann immer nur für kurze Zeit.
Denn seit Chloe sich in Ryans Armbeuge eingeringelt hatte
und der Junge eingeschlafen war, hatte sie sich immer wieder
aufgesetzt, eine Weile in die Dunkelheit gestarrt und wieder
niedergelegt. Aber sie blieb nie lange liegen; immer wieder
sprang sie leise vom Bett, ihrem sicheren Instinkt folgend, dass
Gefahr drohte. Sie lief im Zimmer auf und ab, schnupperte an
den Wänden entlang, um die Quelle der Unruhe ausfindig zu
machen, die sie wach hielt. Nach jedem Rundgang durch ihr
Territorium hüpfte sie wieder aufs Bett, beschnüffelte den
schlafenden Jungen, der die Gefahr, die sie überall witterte,
überhaupt nicht zu bemerken schien. Im düsteren Licht der
wenigen Straßenlaternen draußen, das die Vorhänge durchließen, die Vorderpfoten auf Ryans Bauch gestützt, reckte
Chloe sich noch einmal, um die Ursache der Geräusche
auszumachen, die sie ständig hörte. Ihr Nackenfell aufgestellt
und eine Pfote angehoben, drückte sich die andere noch tiefer
in Ryans Bauch. Sie bellte einmal ganz kurz, worauf Ryan
instinktiv zusammenzuckte.
Aus dem Schlaf gerissen, setzte er sich auf, und Chloe, die
das Gleichgewicht verlor und aufs Bett purzelte, jaulte
überrascht auf.
Eine Sekunde später hatte sie sich wieder aufgerappelt,
drückte sich an Ryans Brust und knurrte noch einmal leise.
Ryan streichelte Chloe, worauf das Knurren verstummte, und
jetzt hörte er etwas anderes.
In der Dunkelheit wisperten Stimmen – die gleichen
Stimmen, die er schon zuvor gehört hatte. Sein Herz begann zu
rasen, und als er die kleine Schnauzerhündin enger an sich
presste, spürte er, wie sich ihr Körper anspannte.
»Was ist das?«, flüsterte er.
Als Antwort befreite sich Chloe aus seiner Umklammerung,
sprang vom Bett und verschwand in der Dunkelheit. Ryan
tastete nach dem Lichtschalter. Chloe schnüffelte aufgeregt an
der gegenüberliegenden Wand, den kurzen buschigen Schwanz
steil aufgerichtet.
Die Geräusche, die Ryan eben noch gehört hatte, waren
verstummt. Nur Chloes Schnüffeln war zu hören.
»Chloe?«, flüsterte er. »Was ist das, kleines Mädchen?«
Als der Hund auf seine Frage nicht reagierte, schlug er die
Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett und stand auf.
Im gleichen Moment überfiel ihn ein Schwindel, und er sank
zurück aufs Bett. Dort blieb er eine Weile still sitzen, dann
versuchte er es noch einmal.
Ryan fühlte sich unendlich schwach, und es wurde ihm
wieder schwindlig.
»Mom?«, rief er, als er einfach nicht hochkam. »Mom!«
Chloe unterbrach ihr Schnüffeln, drehte sich zu Ryan um
und legte den Kopf schief. Dann gab sie die Suche auf, rannte
zurück zum Bett, sprang hoch und leckte unter unsicherem
Winseln Ryans Gesicht.
Der Junge lehnte sich gegen das Kopfteil und nahm Chloe in
die Arme, wie er früher als kleiner Junge seinen Teddybär
gehalten hatte. Er spürte das Herz des kleinen Hundes schlagen
und die angenehme Wärme seines Körpers, und langsam ließ
der Schwindel nach. Auch die Angst, die ihn befallen hatte –
erst wegen der Stimmen, dann wegen des Schwindelgefühls –
löste sich allmählich.
Als Chloes leises Winseln endlich verstummt war, spitzte er
die Ohren, lauschte nach diesen merkwürdigen Stimmen.
Doch außer einem Lastwagen, der unten vorbeifuhr, war
nichts zu hören.
Und nachdem dieser Schwindel vorüber war, war ihm auch
nicht mehr übel.
Er war nur entsetzlich müde.
Vielleicht war er einfach zu schnell aufgestanden – und
deshalb war ihm schwindlig geworden.
Chloe schnaufte nun ganz gleichmäßig, und als er
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