Mitternachtsstimmen
als es abermals klingelte, fielen
ihm die Kinder ein. Wenn wieder jemand wegen Andrea anrief,
wäre es besser, wenn er den Anruf entgegennähme. Den Arm
immer noch um Carolines Schulter, hob er ab.
»Hallo?«
»Tony?«, hörte er eine bebende Stimme. »Hier ist Beverly
Amondson. Ich bin gerade heimgekommen, da rief Rochelle
an.«
»Wir wissen es schon«, unterbrach Tony sie, als er die
Trauer in Bevs Stimme bemerkte.
»Geht es Caroline einigermaßen? Soll ich rüberkommen?«
Tony zögerte. Caroline schluchzte und zitterte wie Espenlaub. »Vielleicht morgen«, sagte er. »Ruf sie morgen mal an,
ja?«
»Ja, das mache ich«, erwiderte Bev. »Kümmere dich bitte
um sie, Tony. So eine schreckliche Nachricht, besonders nach
dem, was Brad passiert ist – ich weiß nicht, wie sie das
verkraften soll.«
»Sie wird es verkraften«, versicherte Tony ihr.
»Ich danke dir.« Sie schwieg einen Moment. Dann sagte sie:
»Sie kann von Glück sagen, dass sie dich hat.«
»Nein«, flüsterte Tony und legte auf. »Ich bin es, der von
Glück sagen kann.«
Nun richtete er seine ganze Aufmerksamkeit wieder auf
Caroline. »Es ist gut«, sagte er leise. »Ich werde auf dich
aufpassen. Auf dich und die Kinder.«
23. Kapitel
Der Klang der Wanduhr in der großen Diele hörte sich für
Caroline an wie Totengeläute, und ihr Körper reagierte auf
jeden einzelnen Schlag mit einem unfreiwilligen Zucken, als
wäre sie es selbst, die der Hammer traf. Als der letzte Schlag
verhallt war, zog Tony seine Frau näher zu sich.
»Du musst schlafen, Liebling. Die ganze Nacht wach zu
bleiben, wird leider auch nichts ändern.«
»Wenn ich schlafe, träume ich, und ich weiß genau, wovon
ich träumen werde«, erwiderte Caroline. Ihre Stimme klang
ebenso dumpf wie die Uhr, die draußen in der Diele
Mitternacht schlug.
Die Kinder schliefen schon seit Stunden, und kurz vor elf
hatte Tony Caroline endlich dazu bringen können, sich ebenfalls hinzulegen. Keiner von ihnen hatte richtig geschlafen; sie
waren einfach im Dunkeln gelegen, sie in seinem Arm. Er hatte
darauf gewartet, dass ihr Atem in den ruhigen Rhythmus des
Schlafs übergehe, aber das war nicht geschehen. Im Gegenteil,
er spürte ganz deutlich, wie sie gegen diese innerliche
Gefühlslawine ankämpfte, die sie zu überrollen drohte. »Hast
du die Tabletten von Dr. Humphries genommen?«, erkundigte
er sich fürsorglich.
»Eine – ich hasse Tabletten.«
»Kein Mensch nimmt gern Tabletten. Aber manchmal
können sie einem wirklich helfen.« Vorsichtig zog er den Arm
unter ihrem Kopf hervor, schlüpfte aus dem Bett und ging ins
Badezimmer. Einen Moment später war er mit einem Glas
Wasser wieder zurück. »Wo ist die andere?«, wollte er wissen.
Mit einem tiefen Seufzer setzte Caroline sich auf, knipste
ihre Nachttischlampe an und fand die Tablette. Die steckte sie
schließlich, nachdem sie sie misstrauisch beäugt hatte, in den
Mund und spülte sie hinunter. Sie brachte sogar ein dünnes
Lächeln zustande, als sie Tony das leere Glas zurückreichte.
»Wenn ich Albträume habe, wirst du drunter zu leiden haben.«
»Dieses Risiko gehe ich gern ein«, gab Tony zurück.
Nachdem er das Glas ins Badezimmer gebracht hatte, legte er
sich wieder neben sie. Caroline kuschelte sich dicht an ihn und
vergrub den Kopf in der Mulde seiner Schulter. Er hauchte
einen sanften Kuss auf ihre Stirn, ehe er sich über sie beugte,
um die Lampe auf ihrer Seite zu löschen und den Raum in tiefe
Dunkelheit zu tauchen.
Ein paar Minuten später hörte er sie ruhig und gleichmäßig
atmen.
Schlussendlich war sie doch eingeschlafen, und er wusste,
dass sie nicht träumen würde.
Laurie fühlte sich benommen, und ihre Augenlider waren so
schwer, dass sie sie kaum öffnen konnte, und anfangs glaubte
sie, sie träumte. Doch wenn sie träumte, würde sie das erst
wissen, nachdem sie aufgewacht war. Oder?
Wo war sie? Sie hatte das Gefühl, als sollte sie wissen, wo
sie sich befand, könnte sich jedoch nicht erinnern.
Ihr Zimmer.
Sie war in ihrem Zimmer, in ihrem Bett.
Aber warum fühlte sie sich so komisch?
Noch einmal versuchte sie, die Augen aufzumachen –
vergebens. Doch auch ohne etwas zu sehen, spürte sie ganz
deutlich, dass sie nicht allein war.
Sie wollte sprechen, was genauso unmöglich war wie die
Augen zu öffnen, und alles, was sie herausbrachte, war ein
leises Stöhnen.
»Keine Angst. Wir werden dir nicht wehtun.«
Die Stimme war zwar kaum zu verstehen, so leise war
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