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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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großen Augen an. »Unsere
Nachbarn? Du hast Ryan neulich am Vormittag unten in der
Lobby nicht miterlebt – er fürchtet sich vor ihnen wie der
Teufel vorm Weihwasser.«
»Da muss es doch jemanden geben«, fuhr Tony fort. »Was
ist mit Virginia Estherbrook?«
»Virginia Estherbrook? Tony, die Frau ist ein Star! Sie wird
bestimmt nicht auf einen elfjährigen Jungen aufpassen wollen.«
»Sie war ein Star«, stellte Tony richtig. »Komm schon – sie
ist seit Jahren nicht mehr aufgetreten –, die meisten Leute
glauben, sie ist schon längst gestorben. Ich wette, sie macht es.
Ich werde sie mal anrufen.« Ehe Caroline noch Einwände
erheben konnte, hatte er schon den Hörer in der Hand und
wählte die Nummer.
»Virginia?«
Ein melodiöses Lachen perlte durch die Leitung. »Ich bin
ihre Nichte. Aber wir klingen sehr ähnlich, nicht wahr?«
»Ihre Nichte«, wiederholte Tony. Als Caroline fragend die
Brauen hochzog, antwortete er mit einem Schulterzucken.
»Wann wird Virginia zurückkommen?«
»Nicht vor dem Frühjahr«, sagte die Stimme am anderen
Ende der Leitung. »Meine Mutter und sie sind nach Italien
gefahren. Kann ich irgendetwas für Sie tun?«
Tony zögerte. »Das glaube ich nicht. Hier spricht Mr.
Fleming –« Er warf Caroline einen Blick zu, deren Miene noch
neugieriger geworden war. »Einer der Nachbarn. Ich hatte nur
gehofft, dass Virginia uns einen Gefallen tun könnte.«
»Tony Fleming?«, fragte die Frau. »So ein Zufall! Ich wollte
Sie heute Abend anrufen. Oder, besser gesagt, Ihre Gattin.
Caroline, nicht wahr?«
»Ja. Wir –«
»Tante Virgie sagte, ich würde sie auf der Stelle mögen, und
ich habe gehofft, dass wir vielleicht zusammen Mittagessen
könnten oder so was. Ich kenne hier nämlich keine Menschenseele und habe nichts zu tun.« Sie unterbrach ihren Redefluss
nur für den Bruchteil einer Sekunde. »Oh, gütiger Himmel, das
klingt ziemlich Mitleid heischend, nicht wahr? Ich wollte damit
nur sagen, dass ich gestern Abend angekommen bin und noch
keinerlei Pläne gemacht habe.«
Tony überlegte kurz: »Gedulden Sie sich bitte einen
Augenblick.«
»Aber gern.«
Die Hand auf die Sprechmuschel gedrückt, wiederholte er
für Caroline rasch, was die andere Frau gesagt hatte. »Ich
dachte, vielleicht laden wir sie auf einen Drink zu uns ein. Und
wenn sie nichts anderes zu tun hat –« Caroline hatte schon
begriffen, ehe er zu Ende gesprochen hatte.
»Tony, wir kennen sie doch gar nicht!«
»Dann lass sie uns doch einfach unter die Lupe nehmen – es
könnte perfekt sein.«
    »Ich finde die Idee immer noch verrückt«, sagte Caroline eine
Stunde später, als es an der Tür klingelte. »Wir haben die Frau
noch nie gesehen und –«
    »Und wer nicht wagt, der nicht gewinnt«, warf Tony
augenzwinkernd ein. »Das ist doch bisher bloß die
nachbarschaftliche Geste. Warten wir einfach ab, was passiert,
dann können wir immer noch entscheiden.«
    Als Tony die Wohnungstür aufzog, spürte Caroline, wie ihr
vor Verblüffung die Kinnlade herunterklappte, und versuchte
noch, ihre Gesichtszüge zu ordnen.
    Zu spät. Die Frau in der Diele lachte bereits. »Tut mir Leid«,
sagte sie und streckte die Hand aus. »Ich hätte Ihren Gatten
warnen sollen, dass ich genauso aussehe wie meine Tante –
was insofern seltsam ist, als meine Mutter ihr kein bisschen
ähnlich sieht.« Sie senkte die Stimme zu einem vertraulichen
Flüstern. »Manchmal glaube ich, dass ich in Wirklichkeit Tante
Virgies Tochter bin, sie aber meinen Vater nicht hat heiraten
wollen. Dann muss ich natürlich überlegen, wer mein Vater
gewesen sein könnte, und wenn ich an all die Männer denke,
die Tante Virgie –« Leicht errötend brach sie ab. »Heiliger
Himmel, man höre sich das an. Wann lerne ich endlich einmal,
meinen Mund zu halten? Ich bin Melanie Shackleforth.«
    Caroline, die endlich die Sprache wieder gefunden hatte,
nahm die Hand der anderen Frau und stellte sich vor: »Ich bin
Caroline Ev –« Jetzt war es an ihr, zu erröten. »Caroline Fleming «, beeilte sie sich zu berichtigen, immer noch unfähig,
ihren Blick von dieser Frau loszueisen, die wie ein Spiegelbild
von Virginia Estherbrook aussah – nur dass sie ein paar
Zentimeter größer und vierzig Jahre jünger war. Und
abgesehen vom Äußeren schien sie auch den Geschmack von
ihrer Tante geerbt zu haben; sie trug einen smaragdgrünen
Hosenanzug, der Figur zeigte, ohne etwas zu sehr zu betonen
und perfekt mit ihrem

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