Mitternachtsstimmen
kastanienbraunen Haar harmonierte.
Falls sie überhaupt Make-up aufgelegt hatte, dann so dezent
und professionell, dass man es nicht sah. Und ihr Lächeln war
so natürlich, dass Caroline überzeugt davon war, dass sie
entweder nicht wusste, wie schön sie war, oder sich nicht
darum scherte. »Das ist mein Mann, Tony Fleming, mit dem
sie telefoniert haben.« Als sie Melanie in die Küche führte,
fühlte sie sich genötigt, sich für den Zustand der Wohnung zu
entschuldigen. »Ich weiß, hier sieht es fürchterlich aus, aber ich
renoviere im Augenblick so viele andere Wohnungen, dass für
unsere eigene keine Zeit bleibt.«
»Hinreißend, wie Sie Tante Virgies Wohnung umgestalten«,
sagte Melanie. »Das grenzt schon an ein Kunstwerk. Ich
verspreche Ihnen auch, den Handwerkern nicht im Weg zu
stehen. Sagen Sie mir einfach, aus welchen Räumen ich mich
fernhalten soll, und ich mache mich absolut unsichtbar.
Eigentlich wollte ich gar nicht kommen, aber nachdem Mutter
und Tante Virgie plötzlich beschlossen hatten, nach Italien zu
gehen, hat meine Tante darauf bestanden, dass ich komme und
die Wohnung hüte.«
Sie machten es sich in der Küche bequem, und als sie nach
einer Stunde beschlossen, dass es nun spät genug sei, eine
Flasche Wein aufzumachen, hatte Caroline das Gefühl, als
würde sie Melanie schon seit Jahren kennen. »Warum bleiben
Sie nicht zum Abendessen«, schlug Caroline vor, während
Tony eine Flasche Chablis entkorkte und einschenkte.
»Oh, ich möchte mich nicht aufdrängen«, begann Melanie,
aber Caroline wischte ihren Einwand beiseite.
»Sie drängen sich keineswegs auf, glauben Sie mir. Wenn
ich daran denke, wie die Nachbarn uns verwöhnt haben, als wir
von unserer Hochzeitsreise zurückkehrten, ist das das
Mindeste.« Und dann, als sie wieder an Andrea Costanza
denken musste – und an all die paranoiden Fantasien, die ihren
Abend ausfüllen würden, wenn sie nicht eine Ablenkung fände
–, fügte sie beinahe flehend hinzu: »Bitte!«
»Du meine Güte, die Zeit ist ja wie im Flug vergangen«, rief
Melanie erstaunt aus, als die Uhr in der Diele neun schlug. Die
drei Erwachsenen saßen immer noch um den Tisch im
Esszimmer, nachdem Laurie und Ryan sich vor gut einer
Stunde entschuldigt hatten und hinauf in ihre Zimmer
verschwunden waren. Melanie begann, die Teller abzuräumen,
und als Caroline sie daran hindern wollte, wiegelte sie fröhlich
ab. »Ach was, gehen Sie doch inzwischen hinauf und bringen
Sie Ihre beiden perfekten Kinder zu Bett.«
»Von wegen perfekt«, gab Caroline zurück, obgleich Ryan
dankenswerterweise beschlossen hatte, sich heute Abend zu
benehmen. Der Arnikaumschlag, den Tony ihm am Nachmittag
verpasst hatte, hatte die Schramme abschwellen lassen, und der
Schulausschluss schien die von Ralph Winthrop erhoffte
Wirkung zu zeigen, zumindest vorübergehend: Er hatte nach
einem winzigen Zögern Melanie Shackleforths Hand
geschüttelt und während des Abendessens sittsam am Tisch
gesessen, kaum gesprochen, aber immer höflich geantwortet,
wenn er angesprochen wurde. Caroline hatte ihn zwar dabei
ertappt, wie er Melanie aus den Augenwinkeln musterte, aber
wenigstens hatte er sie nicht direkt angestarrt. Laurie war
ebenfalls schweigsam gewesen und hatte auch nicht viel
gegessen.
»Sie mögen sie vielleicht nicht für perfekt halten, aber was
ich bisher an Kindern gesehen habe, da sind die Ihren wirklich
weit über dem Durchschnitt. Falls Sie jemals einen Babysitter
brauchen, lassen Sie es mich wissen, ja?«
Caroline, die ihr mit den Resten des Hühnereintopfs folgte,
den sie zubereitet hatten, sah sie misstrauisch an. »Hat Tony
mit Ihnen darüber gesprochen, während ich vor dem
Abendessen kurz oben war?« Auf Melanies verdutzten Blick
hin entspannte sie sich. »Verzeihen Sie«, sagte sie. »Es ist
nämlich so, dass –« Sie wusste nicht so recht, wie sie es sagen
sollte, doch dann beschloss sie, die Karten offen auf den Tisch
zu legen. »Eigentlich wollten wir Ihre Tante heute Nachmittag
fragen, ob sie vielleicht für zwei Wochen Ryan beaufsichtigen
könnte.« Während sie die Teller in die Spülmaschine räumte,
erzählte sie Melanie, was in der Schule vorgefallen war. »Ich
kann Ryan nicht allein zu Hause lassen und mir auch nicht so
lange von der Arbeit frei nehmen. Aber ganz gewiss kann ich
Sie nicht darum bitten, für zwei ganze Wochen meinen Sohn
zu hüten.«
»Aber selbstverständlich können Sie das«, gab
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