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Mitternachtsstimmen

Mitternachtsstimmen

Titel: Mitternachtsstimmen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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konnte man dann wirklich
noch von Wahn sprechen? Wohl kaum!
Oder doch? Wo war die Verbindung? Es war ein Jahr her,
seit Brad ermordet worden war. Andrea jedoch war nicht in
den Park joggen gegangen und hatte damit ein leichtes Ziel
abgegeben. Sie war zu Hause in ihrer Wohnung gewesen.
Dann litt sie also doch unter Verfolgungswahn.
Trotzdem konnte sie ihre Augen nicht daran hindern, jeden
einzelnen Passanten zu mustern, ständig in alle Richtungen zu
spähen und nach einem Anzeichen für Gefahr Ausschau zu
halten. Und jetzt, nur noch einen Block von der Schule
entfernt, spürte sie ganz deutlich, dass sie beobachtet wurde,
dass jemand hinter ihr war. Und jetzt war sie es, die stehen
blieb und in ein Schaufenster starrte, um unauffällig den
Gehsteig hinter sich zu beobachten.
Leer.
Wer immer das gewesen war, verbarg sich in einem
Hauseingang, oder war in eines der Geschäfte verschwunden.
Sie blieb vor der Auslage stehen und betrachtete andächtig die
ausgestellten Messer. Wie Blumen, dachte sie und wunderte
sich gleichzeitig über ihre seltsame Fantasie.
Dann schoss ihr ein anderer Gedanke durch den Kopf: Ich
werde zu spät kommen. Ein Blick auf ihre Uhr sagte ihr, dass
sie für den Zehn-Minuten-Fußmarsch schon fast zwanzig
Minuten gebraucht hatte. Und trotzdem rührte sie sich nicht
vom Fleck, überzeugt, dass ihr Verfolger sich früher oder
später zeigen würde.
Außer, er befand sich gar nicht auf der Straße.
Sondern in einem Haus? Könnte es nicht sein, dass er sie von
einem Fenster aus beobachtete und sich über ihre Nervosität
krumm lachte?
Sie wirbelte herum und fixierte die Fenster des Gebäudes auf
der anderen Straßenseite. Über den Läden befanden sich
Wohnungen mit meist geschlossenen Vorhängen; hinter jedem
Einzelnen konnte jemand stehen und sie beobachten.
Panik stieg in ihr auf – eine unbegründete aber überwältigende Panik, die sie drängte, sich auf schnellstem Weg
nach Hause in die Sicherheit ihrer Wohnung zu flüchten, die
schwere Wohnungstür zu verriegeln und alle Gefahren
auszusperren.
Plötzlich bekam sie keine Luft mehr! Es war, als hätte
jemand Stahlbänder um ihre Brust geschlungen, die mit jeder
Minute enger wurden. Instinktiv stützte sie sich an der
Schaufensterscheibe ab, als sie eine Hand auf ihrer Schulter
fühlte und leise aufschrie. Sie wirbelte herum und fand sich
einer Frau mittleren Alters gegenüber, die ihr bekannt vorkam.
»Ist Ihnen nicht gut?«, fragte die Frau.
Irgendwie brachen die Worte den Bann der Panik, der sie
gefangen hielt, und als sie den Kopf schüttelte, löste sich der
schreckliche Druck auf ihrer Brust, und sie konnte wieder frei
atmen. »Ich … ich bin nicht sicher, was passiert ist. Ich habe
nur …« Ihre Stimme brach ab, als ihr plötzlich dämmerte, was
passiert war: Sie hatte eine Panikattacke gehabt. »Nein, es geht
schon wieder«, sagte sie. »Vielen Dank.«
Die Frau nickte, lächelte sie an und setzte dann ihren Weg in
den Park fort. Caroline sah ihr nach und war sich auf einmal
sicher, dass sie diese Frau schon einmal gesehen hatte, konnte
sich aber nicht erinnern, wo das gewesen war. Hatte die Frau
sie verfolgt …? Als ihr Verstand wieder auf die verführerischen Avancen des Wahns zu reagieren begann, der sie
gerade ein paar Minuten zuvor überwältigt hatte, verscheuchte
sie den Gedanken und ging entschlossen die letzten Meter zur
Academy. Sie könnte diese Frau schon tausendmal gesehen
haben – immerhin hatte sie mehr als zehn Jahre hier in der
Nachbarschaft gewohnt, und die andere Frau vielleicht doppelt
so lange. Warum sollte sie ihr nicht bekannt vorkommen? Als
sie schließlich das Büro von Ralph Winthrop betrat – das im
Vergleich zu der Hitze draußen angenehm kühl war –, hatte sie
sich wieder ganz unter Kontrolle.
Bis sie Ryan in der Ecke auf einem Holzstuhl sitzen sah, mit
finsterer Miene, vor Wut glitzernden Augen und einer
geschwollenen Schramme auf der Stirn. Ich komme damit nicht
zurecht, dachte sie und wusste, dass sie keine andere Wahl
hatte. »Ich dachte, wir waren uns darüber einig, dass du nicht
mehr in eine Prügelei gerätst«, sagte sie.
»Das war nicht meine Schuld«, fauchte Ryan. »Justin Fraser
hat mich einen Idioten geschimpft.«
»Und deshalb hast ihn geschlagen«, sagte Ralph Winthrop
leise. Als Ryan etwas erwidern wollte, hielt er die Hand hoch,
um jegliche Gegenrede abzublocken. »Versuch nicht, es
abzustreiten – Mr. Williams und Mrs.

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