Mittsommerzauber
Beispiel. Wie geht es dir, Kind?«
Die Frage bedeutete mehr als die übliche Höflichkeitsfloskel. Die unausgesprochene Sorge, die darin mitschwang, entging Anna keineswegs.
»Ach, Mama, wie soll es mir gehen. Ich stehe den ganzen Tag in der Apotheke rum. Der Knaller ist das nicht gerade.«
Sie hatte es kaum ausgesprochen, als sie sich auch schon darüber ärgerte. Es war ein Fehler, ausgerechnet jetzt mit ihren Problemen anzufangen. In ein paar Minuten würde Bertil hier auftauchen, schon allein deswegen war es ganz und gar nicht der passende Augenblick für irgendwelche Lebensbeichten.
Silvia bedachte sie mit prüfenden Blicken. »Bertil hätte damals nicht gewusst, was er machen soll, wenn du nicht eingesprungen wärst.«
Anna nickte nur stumm. Sie hatte beschlossen, allen weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen. Doch Silvia hatte offenbar nicht vor, das Thema abzuhaken. »Du denkst, du hast nicht Pädagogik studiert, um dann in einer Apotheke Kopfschmerztabletten zu verkaufen, hm? Ist es das, was dir zu schaffen macht?«
Anna machte den kläglichen Versuch, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen. »Die Kopfschmerztabletten gehen ja noch. Aber die Hühneraugenpflaster...« Anna senkte den Kopf. »Ich wollte mit Kindern arbeiten... Ich...«
»Es klappt eben nicht immer so, wie man sich das ausmalt«, sagte Silvia sanft. »Außerdem - wenn du erst eigene Kinder hast, kannst du deine ganzen Erkenntnisse bei ihnen...«
»Darum geht es nicht, und das weißt du«, unterbrach Anna ihre Mutter, ohne sich die Mühe zu machen, die Erbitterung in ihrer Stimme zu unterdrücken. »Außerdem will ich noch gar keine Kinder haben. Wieso drängt ihr mich denn nur alle so?«
»Niemand drängt dich«, korrigierte Silvia sie. »Wir wollen nur, dass es dir gut geht.«
»Wirklich?«, fuhr Anna auf. »Was immer ihr wollt - ich finde es jedenfalls furchtbar, dass hier anscheinend jeder weiß, was ich zu tun und zu lassen habe!« Sie merkte, dass sie die Kontrolle über ihre Gefühle verlor und kurz davor stand, in Tränen auszubrechen. Hastig ging sie zur offenen Terrassentür. »Entschuldige mich bitte, Mama. Ich muss noch was aus meinem Zimmer holen.«
Auf ihrem Weg zur Treppe fühlte sie die besorgten Blicke ihrer Mutter im Rücken. Sie ging schneller, und das letzte Stück bis zur Treppe rannte sie sogar.
Als sie oben im ersten Stock die Tür zu ihrem Zimmer aufstieß, vernebelten Tränen ihr die Sicht, und wütend wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen, bevor sie einen Ordner aus dem Regel riss und fieberhaft darin herumblätterte, bis sie endlich gefunden hatte, was sie suchte. Die Klarsichthülle mit ihrem Abschlusszeugnis in der Hand ließ sie sich auf ihr Bett sinken und starrte das Dokument an. Sie hatte als Beste ihres Uni-Jahrgangs abgeschlossen und darauf gebrannt, ihre frisch diplomierten Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Doch dann war alles anders gekommen, denn Bertil hatte sie gebraucht...
Sie hatte kaum an ihn gedacht, als er auch schon die Tür öffnete und seinen Kopf ins Zimmer streckte. »Da bist du ja. Berta schickt mich. Wir können jetzt essen. Und zwar sofort, hat sie gesagt.«
Anna schob ihr Zeugnis nachlässig unter die Bettdecke und stand auf. »Bin schon da«, entgegnete sie betont munter.
Er lächelte sie an und nahm sie in die Arme. »Alles in Ordnung?«
Sie küsste ihn schnell auf die Wange und ging dann voraus zur Treppe. »Ja, alles klar«, sagte sie halb über die Schulter. »Es ist heute bloß so eine komische Stimmung hier im Haus.«
»Kann es sein, dass deine Mutter Sorgen hat?«
Anna blieb auf der ersten Stufe stehen und nickte zögernd. »Irgendwas mit Harald. Keine Ahnung, was genau.« Sie dachte kurz nach. »Vielleicht haben sie sich wegen seiner Geschäftsführung gestritten, kann sein, dass da was schief gelaufen ist.« Sie erkannte im selben Moment, dass es sich tatsächlich so verhalten musste. Wäre ihr Kopf nicht so voll von eigenen Problemen, hätte sie eher darauf kommen können.
»Anna, du musst endlich hier raus«, sagte Bertil. »Lass uns ein paar Sachen packen, und dann ziehst du zu mir.«
Anna musste lachen. Sein Versuch, die Disharmonie in ihrer Familie für seine eigenen Zwecke zu nutzen, war zwar absolut durchsichtig, aber gleichzeitig auch auf nette Art ritterlich. »Zu dir ziehen? In deine Junggesellenbude? Tut mir Leid, aber ich fürchte, das kommt nicht infrage.«
So schnell gab Bertil nicht auf. »Wenn du nicht zu mir ziehen willst - ich
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