Mittsommerzauber
machte sich endgültig auf den Weg zu seiner neuen Arbeitsstätte.
*
Die mehrblättrige Gattersäge fraß sich heulend durch den Stamm und zerteilte das Holz wie Butter. Silvia stand vor der Maschine, den Kopf gesenkt und die Arme vor dem Körper verschränkt. Das Getöse störte sie ebenso wenig wie der allgegenwärtige Sägestaub. Was sie störte, war allein der Umstand, dass die zweite Säge stillstand und die Produktivität dieser Fabrik dadurch um fünfzig Prozent eingeschränkt war.
Sie hörte das Geschrei der Arbeiter, die in der Halle hin- und herliefen, Bretter und Balken verluden, Paletten schoben oder Rindensäcke wegkarrten. Die Männer gaben sich redlich Mühe, die halbe Arbeit so einzuteilen, dass kein Eindruck von Untätigkeit entstand. Silvia war sich darüber im Klaren, dass einige in der Belegschaft bereits um ihren Job bangten.
Vorerst hatte sie nicht vor, jemanden zu entlassen, aber wenn das nur ein paar Tage so weiterging, würde es vielleicht eng werden. Sie musste mit ansehen, wie Terminaufträge platzten und andere Bestellungen storniert wurden, von neuen Akquisitionen ganz zu schweigen. Wenn sich erst herumsprach, dass Blomquist nicht mehr pünktlich liefern konnte, würde keine Firma, die auf sich hielt, mehr mit ihnen arbeiten wollen.
Mikael stand hinter ihr, und Silvia wusste, dass ihm das Ganze mindestens so unangenehm war wie ihr selbst. Er fühlte sich schuldig, obwohl er selbstverständlich nichts dafür konnte. Doch da der Verantwortliche sich hier in der letzten Zeit selten blicken ließ, war Mikael jedes Mal derjenige, der seinen Kopf dafür hinhalten musste, dass die Hälfte der Arbeit liegen blieb.
»Wo ist Harald heute?« Silvia drehte sich zu Mikael um, damit er ihr die Worte von den Lippen ablesen konnte. Er trug wie die meisten Arbeiter in der Halle einen Gehörschutz.
»Er sagte, dass er nach Örebro fahren will, um den Motor abzuholen«, rief Mikael.
»Wann kommt er wieder?«
»Keine Ahnung.«
Silvia nickte und versuchte, sich ihren Zorn über diese neue Unbotmäßigkeit ihres Sohnes nicht anmerken zu lassen. Sie hatte ihm gesagt, dass sie ihn heute hier brauchte, und er hatte sich ihrem Willen wieder einmal entzogen.
Sie sah ihre Sekretärin am Eingang der Halle stehen und winken, und sie drückte Mikaels Arm, ein Zeichen, dass alles in Ordnung sei - jedenfalls, soweit es ihn betraf. Er lächelte sie dankbar an, als sie ihm zunickte, bevor sie zu Ingrid hinüberging, die offenbar eine Nachricht für sie hatte. Silvia wusste, dass Ingrid nicht sonderlich erpicht darauf war, die Werkshalle zu betreten. Sie war der Meinung, der Sägestaub verursache irreversible Lungenschäden, was sie indessen nicht daran hinderte, täglich mindestens dreißig Zigaretten zu rauchen.
»Was gibt es, Ingrid?«
»Herr Dahlström hat angerufen. Er verspätet sich ein wenig, weil er Probleme mit dem Auto hat.«
»Herr Dahlström?«, fragte Harald. Er kam mit den Händen in den Hosentaschen herangeschlendert. »Ein neuer Kunde, Mama?«
Silvia wandte sich zu ihm um, erleichtert, weil er doch noch rechtzeitig zurückgekommen war. Möglicherweise täuschte sie sich, und es war doch Verlass auf ihn.
»Du warst in Örebro, um den Motor abzuholen? Wo ist er denn? Können wir ihn gleich einbauen lassen?«
»Ich hab’s mir anders überlegt«, sagte er ausweichend. »Sie wollen ihn lieber schicken, wegen der Gewährleistung und so.« Er legte seiner Mutter einen Arm um die Schulter. »Jetzt sag schon. Wer ist dieser Dahlström? Hast du einen neuen Kunden an Land gezogen?«
Silvia löste sich von ihm und trat zwei Schritte zur Seite.
Sie fühlte sich wie versteinert vor Ärger und Enttäuschung. Ohne ein Wort ging sie zurück in ihr Büro.
*
Anna wusste nicht, was sie denken sollte, während sie an der Seite des Personalchefs den endlos scheinenden Flur entlangging bis zur Empfangshalle, wo die großen Plakate hinter dem Tresen in Hochglanzfarben die bunte Abenteuerwelt der Kreuzfahrtflotte zeigten. Sie war erschöpft, aber auch seltsam aufgekratzt, und die Erleichterung darüber, dass sie es hinter sich hatte, mochte sich noch nicht recht einstellen. In ihrem Kopf herrschte ein wirres Durcheinander, und sie versuchte vergeblich zu rekapitulieren, ob es wohl gut oder schlecht gelaufen war.
Frank Brodersten hätte vom Alter her ihr Vater sein können und hatte sich sogar ein wenig so benommen. Ruhig, freundlich und mit einem Hauch von Schalk hatte er ihr alle Ängste genommen und sie
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