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Mittsommerzauber

Mittsommerzauber

Titel: Mittsommerzauber Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inga Lindström
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und ging hinüber zu seinem Büro. Er ignorierte die vorwurfsvollen Blicke von Mikael und dem Rest der Belegschaft, und obwohl er genau wusste, dass über ihn getuschelt wurde, was das Zeug hielt, tat er so, als wäre alles in bester Ordnung. Was blieb ihm auch übrig?
    Die meiste Zeit glaubte er sogar selbst daran, zumindest dann, wenn er sich gut genug fühlte, um den Geschäftsführer heraushängen zu lassen. Dazu brauchte es nur ein bis zwei Tabletten, und schon klappte es wieder.
    Er tigerte eine Weile unruhig in seinem Büro herum und sagte sich, dass er noch nicht so weit war. Er würde es noch aushalten. Eine Stunde vielleicht, oder auch zwei, je nachdem, ob es ihm gelang, sich während dieser Zeit mit anderen Dingen zu beschäftigen.
    Doch dann begriff er, dass er sich etwas vormachte. Er musste jetzt etwas einnehmen, nicht später.
    Die Mischung aus Selbsthass und Furcht wurde von einer Welle kompromissloser Gier weggefegt, als er die Schreibtischschublade öffnete und das Röhrchen herausholte. Er erschrak, als er sah, dass nur noch eine Tablette darin war. Hastig zerkaute und schluckte er sie, bis auch der letzte Krümel verschwunden war. Sein Hals brannte wie Feuer, doch er brauchte kein Wasser. Es ging schon lange ohne Wasser.
    Er wartete, dass die Wirkung des Mittels einsetzte, doch es tat sich nichts. Eine Tablette reichte einfach nicht. Es reichte niemals. Widerwillig machte er sich klar, dass er in den letzten Tagen mehr genommen haben musste als sonst. Gestern war das Röhrchen noch fast voll gewesen, oder verwechselte er das mit vorgestern? Verdammt, was für ein Tag war heute überhaupt? Mittwoch. Es musste Mittwoch sein, denn gestern hatte wieder einmal das dämliche Dienstagsessen stattgefunden.
    Seine Zunge fühlte sich dick und pelzig an, während er zum Telefonhörer griff und wählte. Es war immer dasselbe, auch diesmal. Er konnte betteln und flehen, so viel er wollte, doch er wurde hingehalten. Seine Quelle war eine Arzthelferin aus Stockholm, und eine Zeit lang hatte es hervorragend geklappt mit ihr. Er war mit ihr ausgegangen, und sie hatten beide ihren Spaß gehabt. Doch dann hatten die Probleme im Bett angefangen, und sie hatte es auf die Tabletten geschoben. Jetzt hatte sie längst einen anderen Kerl, aber aus alter Freundschaft hatte sie ihm weiterhin Rezepte besorgt. Dann hatte sie damit aufgehört, weil sie behauptet hatte, er wäre süchtig, und die Dosis auf den Rezepten sei inzwischen zu hoch, sodass es bald auffallen würde. Also hatte er härtere Geschütze auffahren müssen. Er hatte erwähnt, dass sie sich sowieso schon längst strafbar gemacht hatte, dass er das aber keinesfalls gegen sie verwenden werde, solange sie ihm hin und wieder etwas beschaffte. Was wiederum jedes Mal, wenn er auf dem Trockenen saß, zu endlosen Diskussionen mit ihr führte.
    Doch diesmal war es anders als sonst. Nicht besser, sondern viel schlimmer. Ihre Stimme am Telefon klang unerbittlich. Sie wolle sich nicht mehr erpressen lassen, und außerdem würde sie in drei Monaten sowieso mit der Arbeit aufhören, weil sie schwanger sei. Dann sei es ihr auch völlig egal, ob sie ihre Stelle verliere, denn sie würde ohnehin zum Ablauf der Schwangerschaft kündigen, weil sie künftig zu Hause bleiben wolle.
    Harald fluchte inbrünstig und lautlos, schaffte es aber immerhin, sie davon zu überzeugen, ihm ein letztes Mal ein Rezept zu besorgen. Doch er musste ihr dafür schwören, sie anschließend in Ruhe zu lassen.
    Er warf den Hörer auf die Gabel und ging wieder nach draußen. Als er durch den Park zurück zum Wohnhaus kam, sah er einen fremden Wagen auf den Hof einbiegen. Erst auf den zweiten Blick erkannte er, dass Anna hinterm Steuer saß.
    »Hej«, sagte er, als sie ausgestiegen war. »Neuer Wagen? Bertil scheint ja ganz schön großzügig zu sein.«
    »Der ist nur geborgt.« Lachend küsste sie ihn auf die Wange, was er sich griesgrämig gefallen ließ. Allem Anschein nach war sie penetrant gut gelaunt, und er wünschte sich, dass es ihm nur halb so gut ginge wie seiner Schwester.
    Seine Stimmung sank noch um einige Grade, als er seine Mutter aus dem Haus treten sah, zusammen mit einem Mann, den er nicht kannte. Wahrscheinlich war das dieser Dahlström, von dem sie gesprochen hatte. Er sah geradezu widerlich gut aus, wie eine Art moderner Cowboy, mit einem kantigen braun gebrannten Gesicht und breiten Schultern. Harald hatte immer noch keine Ahnung, wer der Kerl war und was er hier wollte. Wäre er

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